Stell‘ Dir vor, es ist Derby – und es ist Dir egal
13. Mai 2020Am kommenden Wochenende geht die Bundesliga nach rund zehnwöchiger Corona-Pause mit Geisterspielen wieder an den Start. Auf dem Plan steht mit dem Derby zwischen dem BVB und Schalke 04 auch ein echtes Knallerspiel – eigentlich. Susanne Hein-Reipen vermisst so ziemlich alles, was ein Revierderby ausmacht…
Ausgerechnet Schwarzgelb gegen Blauweiß nach zweieinhalb Monaten Fußball-Entzug, das wäre im Normalfall ein Spiel, dem der ganze Ruhrpott schon Wochen vorher entgegenfiebern würde. Rivalität, Sticheleien, Hochspannung und jede Menge Vorfreude. Doch dieses Mal ist alles anders und ich kenne nicht einen einzigen Fußballfan, der sagt, „geil, endlich geht es wieder los!“ Trotz großem und fußballaffinem Freundeskreis und Schalker Social-Media-Filterblase: Das Höchste der Gefühle ist „naja, besser Geisterspiele als gar nix“ oder „ist doof, aber die Clubs im Allgemeinen und Schalke im Besonderen brauchen dringend die Fernsehgelder“.
Kontaktsport ohne Kontakt
Andere wenden sich mit Grausen ab, wenn sie das teilweise absurd anmutende Theater beobachten, das Politik und DFL veranstalten, um buchstäblich um jeden Preis die Saison zu Ende zu führen. Kontaktsport in Zeiten, in denen fast die ganze Menschheit gezwungen ist, möglichst viel Abstand zu halten, hört sich nicht nur doof an, es ist es auch. Die Heimmannschaften sollen nicht mit dem Mannschaftsbus, sondern einzeln (!) per PKW anreisen, aber auf dem Platz soll es normal zur Sache gehen?
Das Hygienekonzept der DFL sieht unter anderem das regelmäßige Desinfizieren des Balles, das Tragen von Mund-Nasen-Schutz für alle Beteiligten neben dem Platz und auf der Bank – hey, der Trainer darf ihn kurz abnehmen, um eine Anweisung zu rufen – und weitgehende Berührungsfreiheit auf dem Platz vor. Handshake, Mannschaftsbild, Einlaufkinder, sogar Maskottchen sind untersagt.
Ellenbogen als Zeichen der Ekstase
Torjubel? Nix, nur Ellenbogen- oder Fuß-Kontakt ist erlaubt, Umarmen oder Abklatschen sind verboten. Nicht erlaubt sind auch Spucken (war das eigentlich sonst zulässig…?) und Rudelbildung. Ich bin gespannt auf die erste Freistoß-Mauer, die jeweils 1,50 Meter breite Lücken lässt. Und darauf, wie die Profis, von denen sich trotz medialer Maulkörbe bereits einige sehr skeptisch über die Wiederaufnahme der Spiele geäußert haben, in die Zweikämpfe gehen.
Ceka, Hofmann, Kaparos und Bozdogan als königsblaue Notfallreserve
Was passiert, wenn das nächste Team, das in Quarantäne muss, nicht „nur“ Zweitliga-Schlusslicht Dynamo Dresden, sondern beispielsweise der FC Bayern München ist? Gilt dann auch „The Show must go on“? Zwar haben die meisten Bundesligisten ihre Kader mit Jugendspielern aufgestockt – bei Schalke trainieren zu diesem Zweck Jason Ceka (20), Jonas Hofmann (23, beide Schalke II), Jimmy Kaparos (18) und Can Bozdogan (19, beide U 19) mit -, um für etwaige Ausfälle und Engpässe gerüstet zu sein, aber eine Garantie ist das nicht.
Fans als Risikofaktor
Und die Fans? Kommen in dem ganzen Konzept nicht vor, nur als Störfaktor, der trotz Kontaktverbots auf die dumme Idee kommen könnte, sich vor den Stadien zu versammeln. Funktionäre wie Watzke und Hoeness weisen darauf hin, dass die Fans diese „Kröte schlucken“ müssten, weil es die Bundesliga sonst in der bisherigen Form nicht mehr gäbe. Dabei geht ein wenig unter, dass die Vereine, die jetzt am stärksten gefährdet sind, bereits vor Corona nicht vernünftig gewirtschaftet haben.
Fangruppierungen aus ganz Europa haben sich als Bündnis „United Supporters of Europe“ vehement gegen Fußball ohne Fans ausgesprochen, ihre Bitte verhallte ungehört. Die Fernseheinnahmen sind wichtiger als Atmosphäre oder Support, Gemeinschaftserlebnis oder Zusammengehörigkeitsgefühl. Nun verwundert „Geld regiert halt die Welt“ kaum noch einen, der gelegentlich einen Blick auf den Profifußball wirft, aber selten haben die Fans es so überdeutlich vor Augen geführt bekommen. Dass selbst Rudelgucken mit Freunden, Fanclub oder der Sky-Stammkneipe wegen Corona flachfällt, ist nur das Tüpfelchen auf dem hässlichen I.
Fußball ohne Seele
Für mich und sehr viele Fans, die ich kenne, fehlt dem Fußball ohne Fans, ohne Support, ohne Unterstützung und ohne Herzblut schlicht die Seele – und gerade ein Derby ist ohne Fans undenkbar. Das, was da am Samstag stattfindet, mag ein sportlicher Vergleich oder eine wirtschaftliche Notwendigkeit sein, ein Derby ist es für mich nicht. Wenn sich im leeren und stillen Signal-Iduna-Park 11 gelbe und 11 blaue Spieler mit wenigen Tagen Mannschaftstraining und ohne Spielpraxis gegenüberstehen, werde ich kopfschüttelnd auf meiner Couch verfolgen, was dabei rauskommt.
Ich weiß aber bereits jetzt, was nicht dabei rauskommt: Derbyfieber oder auch nur ein Ansatz der Ekstase, des geilen Gefühls, das sich sonst bei jedem Tor und jeder gelungenen Aktion im „Feindesland“ ausbreitet. Wenn Schalke gewinnen sollte, ist das nett für die Tabelle, die Statistik und das allgemeine Gefühl, dass „Lüdenscheid-Nord“ überall besiegt werden sollte, wo es auftaucht, selbst wenn es nur ein Armdrücken der beiden Maskottchen ist…
…aber mein Schalke oder mein Derby is‘ datt nich‘.