Schalkes Halbjahresbilanz 2022: Schwieriger Spagat zwischen Insolvenz und Kaputtsparen

Schalkes Halbjahresbilanz 2022: Schwieriger Spagat zwischen Insolvenz und Kaputtsparen

2. November 2022 0 Von Susanne Hein-Reipen

FinanzvorstĂ€ndin Christina RĂŒhl-Hamers hat die königsblaue Konzernbilanz fĂŒr das erste Halbjahr 2022 vorgestellt, die trotz eisernem Sparkurs immer noch tiefrote Zahlen ausweist. Gleichzeitig mehren sich angesichts des schlechten Starts in die Erstligasaison die Stimmen, die mehr Geld fĂŒr sportliche Investitionen fordern. Finanzexpertin Susanne Hein-Reipen erklĂ€rt eine Ă€ußerst schwierige Gratwanderung


Betrachtet man nur die nackten Zahlen, treibt einem der Konzernzwischenbericht des FC Schalke 04 die TrĂ€nen in die Augen: Umsatz fast auf die HĂ€lfte gesunken, Verlust fast 20 Mio. Euro, Anstieg des negativen Eigenkapitals auf furchterregende – 108,7 Mio. Euro. Doch frei nach dem alten Buchhalterwitz „Bilanzen sind wie Bikinis, sie zeigen viel, aber das Interessanteste wird verdeckt“ ist die Wahrheit hinter den Zahlen eine ganz andere:

Betrachtet man die UmstĂ€nde, unter denen die Zahlen zustande gekommen sind, muss man RĂŒhl-Hamers und den anderen Beteiligten einen grandiosen Job attestieren! Das Ergebnis ist angesichts der Ă€tzenden Gemengelage aus Pandemie, Abstieg, Energiekrise und Altlasten das Bestmögliche.

gazprom-Einnahmen sehr gut aufgefangen

Beispiele gefĂ€llig? Der deutliche UmsatzrĂŒckgang von 106,7 auf 55,9 Mio. Euro ist auf den Abstieg zurĂŒckzufĂŒhren; allein die Fernseherlöse sanken von 48,3 auf 12,8 Mio. Euro, dazu kam ein stark geschrumpfter Transfermarkt. In den Bereichen hingegen, die Schalke selber beeinflussen konnte, wurden die UmsĂ€tze weitestgehend stabil gehalten – sogar die Sponsoringeinnahmen blieben trotz zweiter Liga und der mutigen Trennung vom langjĂ€hrigen Hauptsponsor gazprom mit 19,9 Mio. Euro (Vorjahreszeitraum in Liga 1 waren es 21,9 Mio. Euro) auf hohem Niveau.

Dass der Verlust trotz dieser fast auf die HĂ€lfte geschrumpften UmsĂ€tze leicht reduziert werden konnte statt drastisch zu steigen, ist ein klarer Verdienst des konsequenten Sparkurses, so schmerzhaft er auch manchmal ist. Zum Vergleich: Der BVB hat in den vergangenen zwei Spielzeiten trotz Championsleagueteilnahme und erster Liga einen Verlust von 107 Mio. Euro eingefahren – Ähnliches bzw. wegen des Abstiegs Schlimmeres hĂ€tte ohne deutliche Einsparungen auch Schalke gedroht und den Verein in die Insolvenz getrieben.

Personalkosten: Kampf zwischen erforderlichen Einsparungen und sportlicher Substanz

Der wichtigste Baustein bei den Kostensenkungen war die Reduzierung des Spieleretats und der Personalkosten um fast 20 Mio. Euro, obwohl noch Abfindungen und Teilgehaltszahlungen fĂŒr verliehene Großverdiener aus der Heidel-Ära geleistet werden mussten.

Der diesbezĂŒglich teilweise erhobene Vorwurf, Schalke werde „kaputtgespart“ – gerne am Beispiel der Nichtverpflichtung von Aufstiegsheld Ko Itakura illustriert – ist schlicht falsch: Der Sparkurs oder wie RĂŒhl-Hamers sagt, die „kaufmĂ€nnisch vernĂŒnftige Budgetplanung“ ist leider absolut alternativlos, da ansonsten ZahlungsunfĂ€higkeit droht. Das ist zweifellos bitter, aber kurzfristig nicht zu Ă€ndern. Wer fordert, „man muss auch mal was riskieren“ verkennt, dass genau das unseren Verein ĂŒberhaupt erst in die prekĂ€re finanzielle Lage gebracht hat. Der Weg kann nicht sein, weiter bzw. wieder nicht vorhandene Gelder zu verausgaben, vielmehr muss das wenige vorhandene Geld so sinnvoll wie möglich investiert werden.

Der Spagat zwischen Kostendeckelung und Erhaltung bzw. StĂ€rkung der sportlichen Substanz wird DAS zentrale Thema der nĂ€chsten Jahre bleiben. Der Klassenerhalt wĂ€re fĂŒr die Stabilisierung der Einnahmen immens wichtig, dazu bedĂŒrfte es aber vermutlich weiterer Investitionen in den Kader. Ein Lichtblick: Durch den Aufstieg darf Schalke im laufenden zweiten Halbjahr 2022 mit rund 20 Mio. Euro höheren Fernseheinnahmen rechnen, ein Teil davon wird vermutlich in der Winterpause in neue Spieler fließen. Zu hoffen ist weiter, dass Thomas Reis das Potential der Knappenschmiede stĂ€rker nutzt als seine VorgĂ€nger.

Eine volle Veltins-Arena bringt Geld

Verbindlichkeiten leicht gesunken

Einen guten Job muss man auch attestieren, wenn man die leichte Senkung der Gesamt- und Finanzverbindlichkeiten betrachtet.  Erstere sanken von 183,5 Mio. Euro auf 181,9 Mio. Euro, die verzinslichen Finanzverbindlichkeiten von 140,6 Mio. Euro auf 136,7 Mio. Euro. Mit der Ă€ußerst erfolgreichen Refinanzierung der Anleihe wurde zudem auf eine lĂ€ngere Laufzeit umgeschuldet und zumindest fĂŒr diesen Bereich Zinssicherheit geschaffen.

Fakt ist aber: Die Verbindlichkeiten sind trotz des vernĂŒnftigen Kurses immer noch hoch und schrĂ€nken den finanziellen Handlungsspielraum ein, zudem könnten die Zinszahlungen durch allgemein steigende Zinsen weiter in die Höhe gehen – Geld, das dann natĂŒrlich nicht fĂŒr Spieler zur VerfĂŒgung steht.

Negatives Eigenkapital bereitet Sorgen

Das negative Eigenkapital ist auf -108,7 Mio. Euro angewachsen. Zur ErlĂ€uterung: Eigenkapital weist das VerhĂ€ltnis von Vermögen und Verbindlichkeiten aus – ist es negativ, ĂŒbersteigen die Schulden das Vereinsvermögen, ist es positiv, sind mehr Werte als Verbindlichkeiten vorhanden. Das Rekordminus ist deshalb ebenfalls ein klarer Auftrag zum Maßhalten, damit die bilanzielle Überschuldung nicht zu einer tatsĂ€chlichen und Schalke damit zum Insolvenzfall wird.

Erschwerend kommt hinzu, dass die vielzitierten „stillen Reserven“ ebenfalls gesunken sind. Darunter verstehen Buchhalter Vermögen, das nicht bzw. mit einem deutlich geringeren Wert in der Bilanz steht. Im Profifußball sind das klassischerweise die Marktwerte selbst ausgebildeter bzw. ablösefrei verpflichteter Spieler. Der Hintergrund: Spieler tauchen als WirtschaftsgĂŒter auf zwei Beinen unter dem Posten „entgeltlich erworbene Spielerwerte“ mit ihren Anschaffungskosten in der Bilanz auf – hat ein Spieler aber nichts gekostet, steht dort nur ein symbolischer Euro, obwohl der tatsĂ€chliche Marktwert deutlich höher ist. Auf diese Weise haben Neuer, Draxler, SanĂ© und Kehrer jeweils die Bilanzen gerettet, aber aktuell ist kein vergleichbarer finanzieller HochkarĂ€ter im Kader. Immerhin: Im zweiten Halbjahr 2022 wurde Malick Thiaw mit Gewinn verĂ€ußert, zudem hat Amine Harit die fĂŒr eine Kaufpflicht von Olympique Marseille erforderliche Anzahl von EinsĂ€tzen bereits jetzt fast erreicht.

Chancen, Risiken, Möglichkeiten – hilft eine Ausgliederung?

Wenn die Mannschaft den Klassenerhalt schafft, bietet die gesunkene Kostenstruktur die Möglichkeit, in kleinen Schritten zu gesunden, denn es ist klar: Bei einem Profi-Fußballverein ist der „sportliche Erfolg der zentrale Hebel fĂŒr die finanziellen Vorhaben des Vereins. Dauerhafte wirtschaftliche StabilitĂ€t ist natĂŒrlich in einem langfristigen Bundesliga-Szenario schneller und leichter zu erreichen“, so RĂŒhl-Hamers. „Wir wissen, dass noch viele weitere Herausforderungen auf uns warten. Aber der FC Schalke 04 hat gezeigt, dass er immer noch da ist – mit seiner ganzen Kraft. Gemeinsam mit unseren 165.000 Mitgliedern, Millionen von Fans, starken Partnern und Sponsoren können wir Königsblau wieder nach vorne bringen. Auch, wenn dies Geduld und Zeit erfordert.”

Diese AufzĂ€hlung und die strategischen AusfĂŒhrungen im Prognosebericht zeigen, dass eine Ausgliederung nicht auf der Agenda des Vorstands steht. Es ist dennoch davon auszugehen, dass die ohnehin schwelende Ausgliederungsdebatte aufgrund der sportlichen Situation schĂ€rfer werden wird, obwohl es kaum einen ungĂŒnstigeren Zeitpunkt fĂŒr eine solche Maßnahme geben könnte als bei sportlichem Misserfolg und gesamtwirtschaftlich schwieriger Lage auch fĂŒr potentielle Investoren.  

Eine weitere „Rettungsleine“ wĂ€re der Verkauf der Marketing- und Cateringrechte oder der Anteile an der Arena-Betreibergesellschaft, doch auch fĂŒr dieses „Tafelsilber“ gilt wie fĂŒr etwaige Anteile: Wenn weg, dann weg, daher wĂ€re der herkömmliche Weg ĂŒber sportliche Erfolge der deutlich Nachhaltigere. Es wĂ€re daher klasse, wenn möglichst viele Schalkefans den eingeschlagenen Kurs mit Vertrauen und Geduld unterstĂŒtzen.