Schalke -Rostock 2:1: Weltrekord, große Emotionen und ein versöhnlicher Abschluss
12. Mai 2024Der FC Schalke 04 bleibt auch im siebten Spiel in Folge ungeschlagen und gewinnt das Heimspiel gegen Hansa Rostock verdient mit 2:1 (2:1). Bereits vor dem Spiel werden bei der offiziellen Verabschiedung von Gerald Asamoah, Simon Terodde und Danny Latza einige Tränchen verdrückt, richtig emotional wird es dann nach dem Schlusspfiff vor der Nordkurve. Susanne Hein-Reipen über einen rundum schalkigen Fußballmittag…
Das Wetter ist schlicht perfekt für ein Fußballfest; schon um 9 Uhr morgens kann sich der geneigte Fan an den einschlägigen Treffpunkten zwischen Kaffee und Bier entscheiden. Die Erleichterung über den im „Geisterspiel“ auf St. Pauli gegen den VfL Osnabrück gesicherten Klassenerhalt ist riesig, Top-Klatsch-Themen sind der fußballerische Ruhestand von Zweitliga-Rekordstürmer Simon Terodde und die Verpflichtung von Ben Manga.
Krasse Fantrennung als Vorgeschmack für die EM?
Rund um die Arena sind mehr Sichtschutzbanner und Polizisten im Einsatz als beim letzten Derby, laut beider Fanhilfen als möglicher Testballon für die EM, laut Polizei wegen der Ausschreitungen beim Hinspiel und einer frühmorgendlichen Großprügelei im Nordsternpark. Trotz des enormen Absperraufwands marschieren Rostocker unbehelligt in anderen Bereichen der Arena herum. Mit 61.533 Zuschauern und 742 aus Sicherheitsgründen gesperrten Plätzen heißt es bereits seit Wochen „nix geht mehr“.
Die Torhüter beider Vereine werden vom jeweiligen Anhang mit Applaus begrüßt, dann tauschen die Fanlager erste Höflichkeiten aus: „Auswärtssieg!“ – „Absteiger!“. Dann wird, leider vor einer nicht einmal halbgefüllten Arena, Gerald Asamoah offiziell durch Vorstandsvorsitzenden Matthias Tillmann verabschiedet, kaum einem glaubt man das mit brechender Stimme vorgetragene „Einmal Schalker, immer Schalker!“ so sehr wie „Asa“. Zu „Gerald Asamoah, ohohoho-ho“ gibt’s einen kräftigen Applaus der Nordkurve obendrauf.
Oberrang blau, Unterrang weiß
Die Mannschaften kommen auf das Spielfeld, die Rostocker erneut „liebevoll“ begrüßt mit „Absteiger!“. Der Auftritt der enorm erfolgreichen Schalker Fußballdamen, darunter auch Asamoahs Tochter Jada, gerät trotz sportlicher Erfolgsgeschichte etwas zur Nebensache, denn alle fiebern Simon Terodde entgegen.
Zu „Blau-Weiß, das sind die Farben von ganz oben“ wird klar: Ungefähr 97 % der Arenabesucher haben sich an die dringende Bitte von UGE und Verein, für ein gemeinsames Zeichen der Geschlossenheit im Oberrang in blau und im Unterrang mit weißem Oberteil zu erscheinen, gehalten; nur einige wenige tragen aus Schusselig- oder Dickköpfigkeit andere Farben. Auch die Sprecher Jörg Seveneick und Dirk-Oberschulte Beckmann sind mit den diesjährigen „Super Schalke“-Mottoshirts unterwegs, sogar Karel Geraerts trägt Weiß und frotzelt hinterher, die Rostocker hätten beinahe gedacht, er spiele für sie.
Ein Weltrekord und ein dicker Kloß im Hals
Die Aufstellung der Gäste wird kurz runtergerasselt, dann ertönt „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“ und „Hansa-Schweine“. Und ganz nebenbei hat Schalke in dieser Saison einen Weltrekord aufgestellt: Einen Zuschauerschnitt von über 60.000 in der zweiten Liga gab es weltweit noch nie!
Dann heißt es wieder Taschentücher zücken: Danny Latza, Schalker Jung und Aufstiegskapitän mit großem Verletzungspech und Simon Terodde bekommen warme Worte und satten Applaus. Unter lautstarken „Simon Terodde!“-Sprechchören bedankt sich der Rekordtorjäger dafür, dass er bei einem so leidenschaftlichen Verein seine aktive Karriere beenden durfte, das eine oder andere Auge wird feucht. Mal schauen, wie lange das Wiedersehen in anderer Rolle auf sich warten lässt…
Voller Stolz für unsere Farben
Beim Steigerlied können sich alle Beteiligten wieder etwas sammeln; dann wird die Schalker Aufstellung rausgebrüllt. Müller, van der Sloot, Cissé, Kaminski, Ouwejan, Schallenberg, Seguin, Ouédraogo, Karaman, Topp und Terodde sind die erste Wahl, Kalas muss angeschlagen passen.
Als die Mannschaften zu den Klängen des Vereinslieds „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ auf den Rasen kommen, präsentiert der schneeweiße Unterrang der Nordkurve ein riesiges Banner „Voller Stolz für unsere Farben“, dazu raucht es ganz gewaltig in Blau und Weiß. Dazu passend werden Seitenwahl und Einschwören von „Gelsenkirchen-Schalke-neunzehn-hundert-vier, für Deine Farben leben und sterben wir“ begleitet. Ob die Beobachter hinter dem natürlich auch von dichten Schwaden verdunkelten „Problemfenster“ auch eine Gänsehaut bekommen haben…? Es bleibt zu hoffen, dass die Differenzen in der Sommerpause beigelegt werden können.
Der mit 5.700 Rostockern gutgefüllte Gästeblock lässt sich ebenfalls nicht lumpen und startet mit bemerkenswert lautem „Haaaaansa Rostock“, dann rollt endlich der Ball.
Karaman mit dem umjubelten 1:0
Nach einer frühen Ecke der Gäste geht es erst einmal hin und her mit ersten Abschlüssen durch Pröger (7., Müller hält) und Ouédraogo (17., drüber). Die Nordkurve performt lautstark „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“, „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“ und „Stadion geh’n, im Pappbecher Bier“; im I-Block erscheint nach dem umstrittenen facebook-Vorwurf der Gewerkschaft der Polizei an Schalke ein Banner mit der Aufschrift „@GdP: Bullenschweine sind keine diskriminierte Randgruppe“.
Nach ungefähr 20 Spielminuten gibt’s zwei Ecken in Folge für Königsblau, die zweite landet von Ouwejan getreten am Rande des Fünfmeterraums, wo Karaman das Kopfballduell gegen Dressel für sich entscheidet und zur 1:0-Führung einköpft (22.). Ein Leben laaaaang….
Kurz darauf entsteht aus einem Allerweltszweikampf zwischen Van der Sloot und Ingelsson an der Seitenlinie eine gelbe Karte für den jungen Niederländer und in der Folge ein ansehnliches Rudel, bei dem Büskens Müller gerade noch von Pröger, der ihn angesprungen hatte, wegzerren kann. Gelb gibt es trotzdem für beide, für Pröger ist es Nummer 5 und er darf beim letzten Zweitligaspiel der Rostocker nur zuschauen. Die Nordkurve untermalt das Scharmützel mit „Absteiger!“ und „Ihr seid nur ein H*rensohnverein!“ plus „Marius Müller“-Sprechchören.
Ausgleich und pure Provokation
Nur zwei Minuten später testet Pröger offenbar, wie weit er gehen kann, tritt Ouwejan und nölt noch mit Schiedsrichter Reichel rum, der ihm statt der fälligen Roten eine weitere Ermahnung verpasst. Leider wird das Theater kurz darauf noch belohnt, über Pröger kommt der Ball zu Singh, dessen Schlenzer von der Strafraumgrenze von Schallenberg unhaltbar für Müller abgefälscht wird und zum 1:1-Ausgleich im kurzen Eck einschlägt (32.). Der Torschütze rennt sofort demonstrativ provozierend an die Bande und erntet etliche hochgereckte Mittelfinger und einige verirrte Bierbecher. Sportlich geht anders!
Der Ausgleich belebt natürlich auch den nach der Schalker Führung etwas leiser gewordenen Gästeblock, die Nordkurve hält mit „Eine Stadt erstrahlt in Blau“ dagegen, während auf dem Feld Ouédraogo und Rossipal nach einem Zusammenprall beim Kopfballduell behandelt werden müssen. Zwischenzeitlich gibt’s noch Applaus für das eingeblendete 1:0 des FCN gegen Elversberg, das den sicheren Klassenerhalt für die Freunde aus Franken bedeuten würde.
Seguin zur erneuten Führung
Hansa versucht mit „asoziale Wessis“ zu provozieren und wird natürlich sofort mit den „Asozialen Schalkern“ überbrüllt; es gibt vier Minuten Nachspielzeit obendrauf – und die haben es in sich! David fällt kurz vor der Strafraumgrenze Ouédraogo; der von Seguin getretene Freistoß bleibt zunächst in der Mauer hängen, landet dann aber erneut bei Seguin und wird im zweiten Versuch präzise ins lange Eck gesetzt (45+5.). 2:1 zur Pause, jawoll!!!
Die Führung hebt die ohnehin gute Stimmung natürlich weiter an, zwischen Fanbox und den News vom Team Fanbelange steigt die Zuversicht auf einen weiteren Heimsieg rasant an.
Zum Wiederanpfiff darf Matriciani für den leicht angeschlagenen Ouwejan ran; die Nordkurve schickt Grüße nach Enschede und beschwört „Schalke, nur Du alleine…“ und den „S! 0! 4!“ Schalke kontrolliert das Spiel, ohne größere Chancen in der Offensive zu entfalten, der erste Rostocker Abschluss durch Singh eine knappe Viertelstunde nach Wiederanpfiff geht über Müllers Kasten (59.).
Karma regelt prompt
Als nächstes sind „Geh‘n mit Dir auf jede Reise“ und „Wer kreist so wie ein Falke“ angesagt. Während der I-Block ein Banner gegen die EURO 2024 präsentiert, zieht die Mitte der Nordkurve eins, zwei, drei, oberkörperfrei und präsentiert die weißen Shirts zu einer inbrünstigen Version des Mythos‘ vom Schalker Markt. „Schalke ist der geilste Club der Weeeelt“ gibt es gratis hinterher.
Ein Dreifachwechsel der Gäste bringt mit Strauß, Hüsing und Perea für Neidhart, Vasiliadis und Pröger frische Spieler, im Mittelpunkt steht aber Singh, der Ouédraogo fies gegen den Knöchel tritt und dafür zunächst nur Gelb sieht, nach Intervention des VAR aber mit Rot duschen gehen darf (71.). Karma für die unnötige Provokation nach dem Ausgleich!
Mohr kommt für Cissé; zu den Klängen von „Wir lieben alle nur den FC Schalker“ scheitern Ouédraogo an Kolke (79.) und Schallenberg an der Latte (80.). Kolke pariert auch gegen Terodde (81.), dann schöpfen die Gäste mit Brumado und Schumacher ihr Wechselkontingent aus; Bachmann und David haben fertig. Bei Königsblau kommt Kabadayi für Ouédraogo (82.), mittlerweile stehen auch die zunächst etwas passiven Sitz-Tribünen und singen gemeinsam „Immer wieder S 04“.
Als die Partie in die Schlussphase geht, darf Latza noch einmal für Schalke ran, er übernimmt die Binde von Terodde, der unter Standing Ovations und lauten „Simon Terodde!“-Sprechchören den Rasen verlässt und sich durch die Bank herzt. Aus Lasmé bekommt noch einige Einsatzminuten, für ihn verlässt Topp den Platz (88.). Trotz rund 6 Minuten Nachspielzeit, wofür auch immer, passiert außer einer gelben Karte für Strauß wegen eines Fouls an Kabadayi nichts mehr, es bleibt beim 2:1-Sieg.
Sehr versöhnlicher Abschluss einer gruseligen Saison
Durch den Dreier klettert Schalke mit nunmehr 43 Punkten auf Rang 10, die beste Platzierung seit dem 2. (!) Spieltag; Hansa bleibt auf Rang 17 und wäre bei einem Sieg von Wiesbaden im Sonntagsspiel direkt abgestiegen. Höhnische „Absteiger, Absteiger“- und „Dritte Liga, Rostock ist dabei“- Rufe gibt’s von Schalker Seite obendrauf, als das Rostocker Team sich das Pfeifkonzert der mitgereisten Fans abholt und Richtung Kabine schleicht.
Viiiel wichtiger ist aber, dass Schalke in der Rückrunde tatsächlich die Kurve bekommen hat – Platz 8 der Rückrundentabelle zeigt gegenüber dem 14. Platz aus der Hinrunde eine deutliche Stabilisierung – und den SuperGAU, das Durchreichen in Liga 3, verhindert hat. Entsprechend wird die Mannschaft beim Gang vor die Kurve mit lautem Applaus begrüßt.
Dann startet eine königsblaue Party, bei der sich Kurve und Mannschaft gemeinsam die Anspannung und den zeitweisen Frust der Saison mit blanker Abstiegsangst aus den Knochen feiern. Los geht es mit „Auf geht’s Schalke, kämpfen und siegen“, wobei die Mannschaft rhythmisch mitklatscht. Dann wird „Gerald Asamoah, ohoho-ho“ gefordert, der sichtlich mit der Fassung ringt, als ihm „ein Leben laaaang“ entgegenschallt. Sein langjähriger Kumpel Buyo tröstet.
Als Nächster wird, klar, Simon Terodde gefordert, der mit minutenlangem Applaus bedacht wird und unter „Simon auf den Zaun“ einen Anlauf aufs Podest nimmt, dann jedoch wieder zu seinen Mannschaftskameraden zurückkehrt. Last not least ruft die Kurve auch Danny Latza noch einmal nach vorne, der sich sichtlich gerührt auf Herz und Wappen klopft.
Den Schlusspunkt setzt der Kleine von Keeper Marius Müller, der den kurz vor der Linie liegengebliebenen Ball ins Tor befördert und bejubelt wird, bevor Papa mit ihm die Welle mit der Kurve macht. Ist. Datt. Schön! – Diesen Nachmittag haben wir uns alle nach dieser Saison redlich verdient!
Wie immer sehr schön beschrieben Susanne den Ablauf des gestrigen Nachmittags.
Uns allen einen schönen blau weißen Sonntag noch.