Schalke – Osnabrück 4:0: Sportlicher und emotionaler Befreiungsschlag

Schalke – Osnabrück 4:0: Sportlicher und emotionaler Befreiungsschlag

2. Dezember 2023 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 schlägt den Tabellenletzten VfL Osnabrück in der zweiten Halbzeit auch in der Höhe verdient mit 4:0 (1:0) und verlässt zumindest vorübergehend den Relegationsplatz. Neben den Toren lassen auch das Steigerlied mit vielen ehemaligen Bergleuten und der Support der Nordkurve die königsblauen Herzen höherschlagen. Susanne Hein-Reipen berichtet…

Es ist kalt auf dem Berger Feld: Die berittene Polizei hüllt sogar ihre Pferde in grellgelbe Gewänder, bei der Getränkewahl entscheiden sich viele für Glühwein statt Bier und – jetzt wird’s ernst! – Mike „Buyo“ Büskens trägt eine lange Hose.

„04 Tage im Zeichen unserer Wurzeln“

Schalke hat in diesem Jahr die Tage vor dem Barbaratag am 4. Dezember unter das Motto „04 Tage im Zeichen unserer Wurzeln“ gestellt und zu Ehren der Schutzpatronin der Bergleute und des Kumpel-Erbes unter anderem 400 ehemalige Bergleute, 11 Vereinsmitglieder namens Barbara und den Ruhrkohle-Chor eingeladen. Während die älteren Herren sich gutgelaunt zum Erinnerungsfoto vor der noch ziemlich leeren Nordkurve formieren, hüpft Maskottchen Erwin fröhlich in Bergmannsjacke über den Platz.

Beim Fanspiel unterliegt „Royal Blue United Leverkusen“ den „Altmeistern Krefeld 1983 e.V.“ knapp mit 2:3; dann kommen die Torhüter auf den Platz. Anders als sonst zu diesem Zeitpunkt, sind die Ultras Gelsenkirchen und die Hugos noch nicht auf ihren angestammten Plätzen, was den seit den seit ihrem „Abgang“ zur Halbzeit der Niederlage bei Fortuna Düsseldorf grassierenden Gerüchten über einen Boykott neue Nahrung gibt.

OHNE WENN UND ABER – ZERREISSEN FÜR 3 PUNKTE!

Die „Klutis Ennepetal“ haben aus Protest gegen den unterirdischen Auftritt der Vorwoche ihr Banner auf den Kopf gestellt und mit „Es reicht!“ überschrieben. Und auch die Ultras wären nicht die Ultras, wenn sie die Mannschaft in einem so wichtigen Spiel komplett im Stich ließen, egal wie sehr sie es vielleicht verdient hätte: Kurz vor dem Einlaufen der Mannschaft zum Warmmachen marschieren sie schweigend in N 3 ein und entrollen ein großes Transparent mit der unmissverständlichen Ansage „OHNE WENN UND ABER – ZERREISSEN FÜR 3 PUNKTE!“. Dieses Banner wird während des kompletten Aufwärmens schweigend als „Mahnmal“ hochgehalten.

Beim Vorgeplänkel am Mikro geht es unter anderem um die Lebensmittelspendenaktion von Schalke hilft!, UGE und SFCV zugunsten der Tafel Gelsenkirchen und ein langjähriges Vereinsmitglied namens Barbara, dazu plaudert Eurofighter Martin Max über seine Ausbildung unter Tage vor dem Schritt in den Profifußball.

Mehr Gänsehaut geht nicht!

Die Gäste aus Osnabrück haben bei nur 8.000 Vereinsmitgliedern heute sehr respektable 6.142 Fans mitgebracht, die nicht erst zur Verlesung ihrer Aufstellung gut Alarm machen. Insgesamt ist die Arena mit 62.093 Zuschauern nahezu ausverkauft. Nunmehr füllt sich auch der zuvor noch verwaiste untere I-Block und entrollt in Anspielung auf den offenen Mitgliederbrief der Mannschaft ein Banner „Taten statt Worte!“

Als die Mannschaft zum Ende des Warmups vor die Kurve geht, gibt diese ihr Schweigen auf und fordert lautstark „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen!“

Dann ist es soweit: Der Ruhrkohle-Chor marschiert, natürlich stilecht in Steigeruniformen ein, das Licht erlischt und stimmt à capella eine getragene und emotionale Version des Steigerlieds an. Wunderschön! Viele königsblaue Zuschauer stimmen ein, bei anderen sind Gänsehaut und Kloß im Hals zu stark und müssen erst durch einen lautstarken „Schna-ha-haps“ freigeräuspert werden. Wir Bergleut sein… kreuzbrave Leut…

Mit Terodde und Viererkette

Als das Licht wieder angeht, gibt’s noch den jährlichen Dank „Ehrenamt ist unbezahlbar“, dann wird die Schalker Aufstellung rausgebrüllt. Mit Fährmann, Matriciani, Kalas, Kaminski, Murkin, Schallenberg, Seguin, Mohr, Karaman, Terodde und Lasme ist die Aufstellung zumindest auf dem Papier deutlich offensiver als zuletzt, dazu wird nach ein paar kleinen Horrorschauen der Dreierkette allgemein die Umstellung zur Viererkette begrüßt.

Das Vereinslied „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ gerät zwischen Einlaufen der Mannschaften und Anpfiff etwas zu kurz, tut aber der guten Stimmung keinen Abbruch. Der Gästeblock zeigt derweil in einer schönen Auswärtschoreo eine XXXL-Version des Vereinswimpels.

Beide Fanlager unterstützen ihr Team vom Anpfiff an lautstark. „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“ hält der Gästeblock unbeirrt „Vau! Eff! Ell!“ entgegen. Auf dem Platz bemüht sich die Schalker Mannschaft nach kurzer gegenseitiger Beschnupperung, das Heft in die Hand zu nehmen und hat durch Kapitän Terodde schon in der 5. Minute eine erste gute Chance, aber sein Schuss geht Zentimeter am linken Pfosten vorbei.

Ein Eigentor bringt die verdiente Führung

Ein Freistoß für Osnabrück bleibt in der Schalker Mauer hängen (7.); Matriciani trifft Kleinhansl am Fuß und sieht Gelb (9.). Schalke ist insgesamt präsenter und bemüht sich um einen offensiven Aufbau, doch Seguin und Terodde gelingt der entscheidende Durchbruch noch nicht. Die Nordkurve stimmt „Geh‘n mit Dir auf jede Reise“ an; das „VfL, VfL“ aus dem Gästeblock wird trocken mit „Scheixx VfL!“ beantwortet, dann wird der Wechselgesang Schalke! – Nullvier“ zwischen Nord- und Südkurve zelebriert. Ein Banner „Ob beim VfB, Bochum oder am Main, der Gewalttäter ist das Bullenschwein“ thematisiert die zahlreichen unverhältnismäßigen Polizeieinsätze in Fankurven.

Zu den Klängen von „Schalke nur Du alleine“ kann Wiemann vor dem sichtlich motivierten Terodde, der vor zwei Tagen zum dritten Mal Vater geworden ist, nur zur Ecke klären. Seguin bringt den Ball an den kurzen Pfosten, wo Wiemann und Kaminski zum Kopfballduell hochsteigen und den Ball Richtung Tor köpfen, wo Grill ihn ins linke Eck zum 1:0 abfälscht (21.). Auf dem Würfel wird Kaminski als Torschütze vermeldet und umjubelt, die offizielle Zählung wertet es als Eigentor von Wiemann, aber egaaaaal, denn: Schalke führt!

Für Deine Farben leben und sterben wir

Der Treffer gibt den zuvor sichtlich verunsicherten Schalkern sichtlich Auftrieb, Lasme (27.) und wiederholt Terodde (31., 36., 37.) schieben weitere Offensivaktionen an. Von den Gästen ist aus dem Spiel heraus wenig zu sehen, lediglich ein Freistoß von Kleinhansl mit anschließendem Kopfball von Verhoek kommt in die Nähe des Tors von Fährmann (40.). Der Keeper, ebenso wie Terodde, Kalas und Mohr trotz winterlicher Temperaturen mit kurzen Ärmeln unterwegs, hat einen sehr ruhigen Abend.

Die Nordkurve nutzt die beruhigende Überlegenheit für „Für deine Farben“, „Wir komm‘n vom Berger Feld, Malocher ohne viel Geld“ und „Schalke, ich bin für Dich geboren“, dann geht es mit einer Minute Nachspielzeit mit der 1:0-Führung in die Kabinen.

In der Fanbox gilt einmal mehr das musikalische Motto „nicht schön, aber laut“, dann gibt es beim Talk mit Thomas „Kirsche“ Kirschner vom Team Fanbelange einen bunten Strauß von Fan-Ini und Weihnachtsfeier der Knappenkids über den „Kinotag“ mit den Wochenendrebellen zur anstehenden Auswärtsfahrt nach Rostock (es wird dort Shuttlebusse vom Bahnhof bis zum Gästeblock geben) und dem Barbaratag.

Seguin erhöht

Beim Halbzeitglühwein lautet das Fazit „zweite Halbzeit können wir besser“ und „wir müssen nachlegen, die sind tatsächlich noch schlechter als wir“. Als die beiden Teams personell unverändert wieder auf den Platz kommen, ertönen eine „Attacke!“ und „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“.

Ajdini sieht Geld für ein Foul gegen Mohr (46.), Grill klärt gegen Lasme (47.), dann darf wieder gejubelt werden: Terodde verlängert einen Abschlag von Fährmann an der Mittellinie per Kopf zu Murkin, der den Ball Richtung Strafraum befördert. Dort blockt Mohr Wiemann ab und schafft so Platz für Seguin, der eiskalt bleibt und die Kugel gekonnt mit rechts aus 14 Metern zum 2:0 in die Maschen setzt (49.).

Seguin und die Mannschaft jubeln ausgelassen, die Eckfahne sieht danach recht lädiert aus. Das königsblaue Publikum ist begeistert über den schönen Angriff und das Tor; auf dem Würfel ist zu sehen, wie Gerald „Asa“ Asamoah Coach Geraerts begeistert an seine breite Brust drückt. So darf es gerne weitergehen!

Terodde trifft und weint

Und es geht tatsächlich so weiter: Nach Gelb für Lasme (54.) und kleineren ungefährlichen Vorstößen der Gäste bleibt Terodde nach einem Zweikampf mit Wiemann angeschlagen im Strafraum liegen. Während alle auf den Wiederanpfiff warten, meldet sich der VAR zu Wort; Schiedsrichter Bauer trabt zum Monitor und – oh Wunder – entscheidet nach einer Weile, in der beiden Kurven „Ihr macht unsren Sport kaputt“ singen, tatsächlich auf Elfmeter für Schalke.

Der Gefoulte tritt selber an und knallt das Leder souverän ins linke Eck zum 3:0 (63.). Nach den vergebenen Chancen vorher ist der Rekordstürmer so erleichtert, dass er beim „Schnullerjubel“ glatt in Tränen ausbricht. Ein Leben laaaaaaang…

Topp ersetzt Lasme (64.) und zwingt Grill direkt per Volley zum Abtauchen. Die Nordkurve zelebriert derweil „Eine Stadt erstrahlt in Blau“. Verhoek lässt nach Vorarbeit von Kleinhansl die Chance zum Anschlusstreffer liegen, weil er mit der Hacke über den Ball tritt (68.).

Karaman oder Kleinhansl, Hauptsache Tor für Schalke

Neu-Coach Koschinat ersetzt danach Thalhammer und Gnaase durch Kunze und Niemann, nutzen tut es nix:  Topp kann unbedrängt auf der linken Seite zu Mohr passen, dessen Flanke ins Zentrum bei Karaman landet. Der setzt sich energisch gegen Kleinhansl durch und trifft per Kopf zum 4:0 (70.). Auch hier will die DFL-Geschichtsschreibung ein Abfälschen durch Kleinhansl und damit ein Eigentor gesehen haben, die Schalker Fans bejubeln lieber Karaman.

Verhoek sieht Gelb (72.), Brunner kommt für Matriciani (73.) und die Nordkurve schunkelt erleichtert zum Schalkewalzer und wischt die Boykott-Gerüchte mit „Wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar“ noch einmal lautstark vom Tisch. Kurz darauf hat Mohr sogar die Chance zum 5:0, doch sein wuchtiger Schuss aus spitzem Winkel fliegt knapp über die Latte (80.).

Wiemann bremst einen weiteren Vorstoß von Terodde aus (83.), dann verlässt der Kapitän unter Applaus das Feld, für ihn kommt Idrizi für Terodde; Tempelmann ersetzt Mohr (83.). Bei den Gästen kommen mit Kehl, Bähr und Wriedt (für Cuisance, Kleinhansl und Verhoek) ebenfalls noch einmal frische Kräfte.

Fährmann klärt einmal problemlos gegen Bähr, ansonsten verläuft die fünfminütige Nachspielzeit angesichts des klaren Spielstands ohne Aufreger. Sieg!

Weiter, immer weiter!

Die Erleichterung im königsblauen Lager ist nach dem Zu-Null-Sieg riesig. Mit dem Erfolg klettert Schalke mit nunmehr 27 Treffern und 16 Punkten zumindest vorübergehend auf Rang 15, während der VfL abgeschlagen letzter bleibt und sich von seinem Anhang ein Pfeifkonzert abholt.

Beim Mannschaftskreis gibt’s nur strahlende Gesichter, dann geht es vor die Kurve, wo es Applaus und natürlich „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen!“ gibt, bevor sich die Mannschaft zu „Zeig mir den Platz in der Kurve“ auf die Stadionrunde begibt.

Keine Frage: Das war ein Pflichtsieg, aber auch ein solches Kellerduell muss man angesichts blankliegender Nerven und medialem Theater erst einmal so deutlich hinbekommen. Für Geraerts und sein Trainerteam bleibt noch viel zu tun, um in der nächsten Woche beim nächsten unmittelbaren Konkurrenten in Rostock zu punkten, doch der Supergau – Heimniederlage gegen den Letzten und weitere Zerwürfnisse mit den treuen Fans – wurde erfolgreich abgewendet!