Schalke – Kaiserslautern 0:3: Spielerischer Offenbarungseid treibt sogar die Nordkurve auf die Barrikaden

Schalke – Kaiserslautern 0:3: Spielerischer Offenbarungseid treibt sogar die Nordkurve auf die Barrikaden

30. November 2024 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 verliert das Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 0:3 (0:1) und wird aufgrund einer schwer zu ertragenden Leistung in der zweiten Halbzeit selbst von der Nordkurve ausgepfiffen. Susanne Hein-Reipen berichtet…

Freitagabendspiel in der zweiten Bundesliga bedeutet Geduld mitbringen, denn die Autobahnen im Ruhrgebiet sind ein einziges großes Stop-and-Go. Trotzdem finden 62.075 erwartungsvolle Fußballfans, darunter eine ordentliche Lauterer Fraktion, den Weg in die Arena.

Besser wird’s nicht

Im Fanspiel besiegt „Auf Schalke Nordenham“ die „Schalker Friesenfront“ mit 3:1 und sackt die Bierkiste ein. Beim Minimatch haben die Mädels der Schalker U11 gegen die gleichaltrigen kleinen roten Teufelinnen mit 3:2 die Nase vorn und machen jubelnd vor der Nordkurve die Welle. Zu diesem Zeitpunkt hoffen noch alle auf ein gutes Omen für das Spiel der „Großen“…

Black Friday kann jeder, Schalke hat Kohle-Spartage mit diversen Sonderangeboten. Finanzvorständin Christina-Rühl Hamers hält eine kurze Laudatio auf Helmut Kremers, der seine Berufung in die Ehrenkabine auf der Mitgliederversammlung krankheitsbedingt verpasst hatte. Auch der nächste Gesprächspartner hat auf Schalke Geschichte geschrieben: Klaus „Tanne“ Fichtel, der diese Woche seinen 80. Geburtstag feiern durfte, ist Schalker Rekordspieler und ältester Bundesligaprofi aller Zeiten. Schalke hat dafür das berühmte Banner „Der Wald stirbt – die Tanne steht“ ausgegraben und der erstaunlich rüstige Jubilar beweist am Mikro, dass die Tanne immer noch nicht nadelt.

Die Mannschaften kommen zum Warmmachen auf den Rasen und werden vom jeweiligen Anhang lautstark begrüßt; unterdessen erinnert Vorstandsvorsitzender Matthias Tillmann mit einem hochrangigen Vertreter der Ruhrkohle AG anlässlich des anstehenden St. Barbara-Tags an den Bergbau.

Die Statistik spricht klar für Königsblau. Nach der Aufstellung der Gäste folgt die Verlesung der Schalker Startelf: Heekeren, Murkin, Kaminski, Kalas, Bulut, Schallenberg, Grüger, Younes, Bachmann, Sylla und Karaman sollen es richten.

Dann rüsten sich alle für den ersten (und wie sich später herausstellt, einzigen) emotionalen Höhepunkt des Abends: Das Steigerlied, im Dunkeln mit tausenden von Lichtern live gesungen vom RAG-Bergmannschor.  Leider haben einige Gästefans nichts Besseres zu tun, als in diesen absoluten Gänsehautmoment hineinzuprollen, werden aber schnell von den mitsingenden Schalkern übertönt. Ein lautstarkes „Lautern-Schweine“ folgt, als die Lichter wieder angehen.

Und täglich grüßt das Murmeltier: Patzer und früher Rückstand

Das Vereinslied „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ darf natürlich auch nicht fehlen, dann kommen die Mannschaften, angeführt vom Schiedsrichterteam um Dr. Robin Braun, auf den Platz. Schalke hat Anstoß, die Nordkurve bringt sich mit einem kleinen Pogo zu „Stadion geh’n, im Pappbecher Bier…“ auf Betriebstemperatur. Der Gästeblock kommt optisch zu diesem Zeitpunkt erstaunlich „neutral“ daher, keine Banner, keine Fahnen.

Auf dem Rasen passiert in dieser Abtastphase noch nicht viel; Schalke hat durch Murkin (7.) und Bachmann nach schöner Vorarbeit von Younes und Sylla (10.) erste Offensivaktionen – und plötzlich steht es 0:1, weil Kaminski und Murkin Ache im Strafraum herumspazieren lassen, der so seelenruhig eine Flanke von Kaloc mit dem rechten Fuß in die Maschen setzen kann (12.).

Der erneute frühe Rückstand durch eine überflüssige Unaufmerksamkeit sorgt für heftigen Frust unter den Schalkefans; nichtsdestotrotz wird mit „Für deine Farben“ und „Schalke nur Du alleine“ weitersupportet. Der Gästeblock steuert gutgelaunt „Kaiseeeeers-lautern!“ bei und packt erste Fahnen aus.

Wenn auf den Rängen mehr los ist als auf dem Platz

Die Schalker Spieler versuchen ebenfalls wieder in den Vorwärtsgang zu schalten, doch weder Karaman (14.) noch Murkin per Freistoß (19.) noch Bulut (24.) haben das nötige Schussglück. Aremu sieht die erste gelbe Karte des Spiels und kurz darauf muss der Schalker Anhang einmal heftig durchatmen, doch Heekeren lenkt mit einer tollen Parade einen wuchtigen Distanzschuss von Kleinhansl um den Pfosten (26.).

Die beiden Fanblöcke vereinen sich derweil kurz in derselben Melodie, „Schalala Schalke 04“ und „Lalala Kaiserslautern“, dann folgt eine „Attacke“, während der Gästeblock zunehmend mehr Fahnen auspackt. Karaman geht im Strafraum gegen Elvedi zu Boden, doch der Kontakt reicht nicht für einen Elfmeter (29.).

Das Spiel plätschert in dieser Phase so vor sich hin, weil Schalke kein Mittel gegen die Abwehr der roten Teufel findet, die ihrerseits nur auf Konter warten. Eine Ecke der Gäste wird von ihren Fans sofort freudig mit „Jetzt geht‘s los“ begrüßt, wird aber sichere Beute von Heekeren (39.). Die Nordkurve arbeitet sich unermüdlich durch das Schalker Liedgut von „Olé Blau-Weiß“ über „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ bis „Wir komm‘n vom Berger Feld, Malocher ohne viel Geld“.

Der Gästeblock zeigt mehrere Banner gegen Print@home-Tickets, dann wird es verbal ruppig: Der agile Ache knickt ohne Fremdeinwirkung um und muss minutenlang behandelt werden. Die Verletzungspause nutzen beide Mannschaften dazu, sich vom Trainer neue Instruktionen zu holen, die Fanlager überhäufen sich mit Komplimenten der Marke „Warum seid ihr H*ren so leise?“ und „Ihr seid nur ein H*rensohnverein“. Ache wird verletzt gegen Redondo ausgetauscht; in der dreiminütigen Nachspielzeit kommt Schalke mit Sylla und Bachmann noch zweimal vor das Tor von Krahl, dann geht es mit dem 0:1-Rückstand in die Kabinen.

Schnelle kalte Dusche

Beim Pausenbierchen sind die meisten Schalker noch optimistisch, dass man das 0:1 in den zweiten 45 Minuten mit einer engagierten Leistung „wie in Hamburg“ noch aufholen kann. Nach der Fanbox gibt es seitens des Teams Fanbelange einen ausführlichen Dank ans Ehrenamt, Werbung für die königsblauen Adventskalender und einen Ausblick auf das anstehende Auswärtsspiel in Paderborn.

Die Königsblauen kommen personell unverändert wieder auf den Platz, bei den Gästen muss Aremu Platz für Toure machen. Die Nordkurve schickt Grüße an die Fanfreunde in Enschede und Nürnberg, dann folgt „Geh‘n mit dir auf jede Reise“. Ein Distanzschuss von Kaloc verfehlt das Schalker Tor deutlich (50.), Krahl schnappt sich einen Kopfball von Bachmann (52.) – und im Gegenzug vernaschen Sirch und Hanslik die Schalker Abwehr.  Der Linksschuss von Hanslik wird noch von Kalas abgefälscht und schlägt zum 0:2 in der rechten Ecke ein (52.).

Der Gästeblock hat jetzt natürlich richtig gute Laune und ist entsprechend laut, die Nordkurve hält mit „Olé FC Schalke“ und „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ dagegen. Als erste Wechsel ersetzt Chefcoach Kees van Wonderen Schallenberg und Sylla durch Seguin und Lasme (57.). Kaloc sieht für ein Foul an Bulut seine 5. Gelbe und muss im nächsten Spiel zuschauen. Den fälligen Freistoß zieht Seguin aufs kurze Eck, wo Krahl im Nachfassen Sieger bleibt.

Wir können noch schlechter

Bulut sieht ebenfalls Gelb (59.) – und Schalkes Abwehr beweist, dass Fabian Ernsts geflügelter Spruch „wie können noch schlechter“ unverändert Gültigkeit hat:  Yokota und Hanslik marschieren Richtung Schalker Strafraum und der Japaner kann die Schalker Defensive umspielen wie Slalomstangen und frei vor Heekeren zum mit links 0:3 vollenden (61.). Danach rutscht der Torschütze provozierend Richtung Nordkurve und zieht so den geballten Zorn auf sich. Der Lauterer Anhang feiert mit „He he FCK“ und „Ohne Lautern wär‘ hier gar nix los“, wird aber trotzig mit den „Asozialen Schalkern“ niedergebrüllt.

Lasme köpft aus kurzer Distanz am Tor vorbei (66.), kurz darauf kommen Donkor und Aydin für Grüger und Bachmann (68.). Toure blockt einen Schuss von Lasme (70.), dann schlagen die Wellen wieder hoch: Ein Schuss von Donkor springt im Sechzehner gegen den abgespreizten Arm von Toure, Schiedsrichter Dr. Braun zeigt sofort auf den Punkt, wird aber vom VAR angefunkt und lauscht minutenlang dem „Mann im Ohr“, bevor er sich selbst die Szene noch einmal anschaut. Es vergehen mehrere Minuten mit lautstarken „Ihr macht unsren Sport kaputt“ und „Scheixx DFB“-Gesängen, dann wird der Elfer zurückgenommen, weil Karaman im Abseits stand – angeblich aktiv, obwohl der Schalker Kapitän sich nicht beteiligt. Eine klare Fehlentscheidung! Zur Klarstellung: Schalke hat sich die Niederlage vollständig selbst zuzuschreiben, dennoch bleibt festzuhalten, dass zum eigenen spielerischen Unvermögen oft noch fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen kommen.

Nach dieser Szene ist das Spiel endgültig durch, auf den Sitzrängen setzt eine große Abwanderungswelle ein, nur die Nordkurve beschwört trotzig „Unser Traum von Schalke wird niemals untergeh’n!“. Ritter ersetzt Yokota, Krahl hält gegen Lasme (76.) Redondo sieht Gelb für ein Foul gegen Aydin (79.). Tempelmann kommt für Younes, dessen Kreativbemühungen den verbliebenen Schalker Zuschauern immerhin einen Extraapplaus wert sind (84).

Karaman trifft den Pfosten (86.), das Tor hätte aber ohnehin wegen vorheriger Abseitsstellung nicht gezählt. Der Rest der regulären Spielzeit und rund sechs Minuten Nachspielzeit verplätschert durch einen Doppelwechsel vom FCK und eine gelbe Karte für Kleinhansl, während die Nordkurve „Tausend Trainer schon verschlissen, Spieler kommen, Spieler geh’n“ anstimmt, dann ist endlich Schluss.

Abstiegskampf!

Kaiserslautern übernachtet durch den Dreier mit 23 Punkten auf Rang 2, Schalke bleibt mit 13 Punkten auf Rang 13, kann aber je nach Ausgang der restlichen Spiele im ungünstigsten Fall bis Platz 17 durchgereicht werden. Dementsprechend deutlich sprechen sowohl Interims-Sportdirektot Youri Mulder als auch Kapitän Kenan Karaman in den Interviews nach dem Schlusspfiff von Abstiegskampf.

Deutlich wird auch die Nordkurve: Als die Spieler vor die Kurve treten, werden sie mit einem gellenden Pfeifkonzert und allerlei blumigen Beschimpfungen empfangen, selbst das sonst auch bei Niederlagen übliche „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ bleibt aus, zu tief sitzt die Enttäuschung. Alle Hoffnungen, dass die Energieleistung der zweiten Halbzeit in Hamburg eine Wende zum Besseren bedeuten könnte, wurden durch den heutigen Auftritt brutal zerstört.

Das Erschreckende daran ist, dass man den Spielern nicht einmal vorwerfen kann, es nicht versucht oder aufgegeben zu haben, aber der spielerische Offenbarungseid im zweiten Durchgang lässt angesichts des Restprogramms bis zur Winterpause – Paderborn A, Fortuna H und Elversberg A – Schlimmes befürchten, dazu kommen zahlreiche Querelen hinter den Kulissen und eine teilweise gruselige Außendarstellung. Harte Zeiten für Königsblau(e).