Schalke – Freiburg 0:2: Nur die Nordkurve zeigt Klasse
31. Oktober 2022Der FC Schalke 04 verliert beim Debüt des neuen Trainers Thomas Reis das Heimspiel gegen den SC Freiburg mit 0:2 (0:1) und bleibt Tabellenletzter. Für große Gefühle sorgt einmal mehr die Nordkurve – vor dem Spiel mit einer gänsehautbringenden Choreo, hinterher mit einem demonstrativen Schulterschluss mit der überforderten Mannschaft. Susanne Hein-Reipen berichtet…
Das extrem milde Wetter sorgt noch einmal für reißenden Getränkeumsatz an den einschlägigen Treffpunkten. Dominierende Themen beim „Bierchen davor“ sind der überraschende Abgang von Sportdirektor Rouven Schröder und die „leise bange Frage“, ob der neue Chefcoach die Mannschaft auf Trab bringen kann oder ob sie schlicht zu schwach für die erste Liga ist.
Weihnachtsmänner und Ehrenmänner
In der Arena gibt’s schon einen stilechten blauweißen Weihnachtsmann – himmlischer Beistand kann ja nichts schaden – und ein unübersehbares „Boycott Qatar“-Banner. Das Vorprogramm bringt unter anderem ein Dankeschön an die vielen Ehrenamtlichen im Sport und ein Interview mit zwei Spielerinnen der königsblauen U 17, die kräftigen Applaus ernten, weil sie Ehrenmann Ralf Fährmann statt den „abtrünnigen“ Manuel Neuer als Vorbild nennen.
Mit 61.115 Zuschauern ist die Arena nahezu ausverkauft. Die Statistik ist ziemlich ausgewogen, der aktuelle Tabellenstand hingegen spricht eindeutig für die Gäste aus dem Breisgau. Die Nordkurve wärmt sich mit „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“ auf, dann gibt es in die beginnende Dämmerung hinein das Steigerlied. Schööön.
Tolle Choreo – Für Schalke Alles Geben
Doch es wird noch besser! Zu den Klängen des Vereinslieds „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ offenbart sich, was hinter der aufwändigen Verschnürung der Nordkurve und den „konspirativen“ Vorbereitungen unter den zusammengelegten Fahnen steckt: In einem wogenden blauen und weißen Meer wird langsam ein riesiger Spieler-Torso mit Schalke-Trikot nach oben gezogen, der auf das Wappen deutet. Das Spruchband am Oberrang dazu sagt unmissverständlich FÜR SCHALKE ALLES GEBEN. Nach und nach füllt sich das zunächst flache und durchsichtige Trikot mit königsblauen Rauchschwaden und wird dabei immer kräftiger, eine ganz starke Symbolik!
Das Trikot wird dabei so kräftig, dass es sich noch minutenlang gegen die „Entlüftung“ sperrt, als das Spiel bereits läuft. Keeper Alexander Schwolow trägt die dicken blauen Wolken mit Fassung, trotzdem muss die Partie kurz unterbrochen werden. Vor ihm bietet Reis in der Startelf Ouwejan, Matriciani, Yoshida, Brunner, Krauß, Kral, Bülter, Mollet, Karaman und Polter auf, Terodde muss zunächst auf der Bank Platz nehmen.
Frühes Aus für Ouwejan
Die Nordkurve geht stimmlich sofort in die Vollen und fordert lautstark „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und „Vorwärts FC Schalke, schieß ein Tor für uns“. Auf dem Feld übernehmen jedoch schnell die Gäste Zepter und Ballbesitz und kommen durch Doan und Eggestein zu ersten Torannäherungen, welche die höher als zuletzt pressenden Königsblauen entschärfen können. Die erste gelbe Karte des Spiels sieht Polter, der Grifo durch eine herzhafte Umklammerung an einem Vorstoß hindert (18.).
Der erste Schalker Torschuss geht auf das Konto von Karaman, aber der Winkel ist zu spitz (19./22.). Die Fans supporten nonstop weiter mit dem Schalke-Nullvier-Wechselgesang, „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n“ und „Geh‘n mit dir auf jede Reise“. Auf die Reise geht auch ein Fernschuss von Jeong, der knapp über den Querbalken zischt (22.).
Zwei fruchtlose Ecken für Freiburg später rutscht Ouwejan bei einer Grätsche gegen den sehr agilen Grifo unglücklich weg und muss behandelt und verletzt gegen Calhanoglu ausgetauscht werden (32.).
Und der zimmert direkt einmal volley auf das Freiburger Tor, doch der Schuss ist ein wenig zu hoch. Ginter sieht Gelb für ein Foul an Polter, dann hat Mollet zu den Klängen von „Eine Stadt erstrahlt in Blau“ nach schöner Vorarbeit von Bülter eine gute Schussposition, verzieht jedoch deutlich über das Gehäuse.
Freiburger Führung durch Grifo
Besser macht es leider Grifo, der von Eggestein einen Abpraller an der Strafraumgrenze genau auf den Fuß serviert bekommt und gekonnt an Yoshida und Schwolow vorbei zum 0:1 einschlenzt (45+1.). Wieder ein Gegentor zu einem denkbar dummen Zeitpunkt…
Die vielen späten Gegentore sind denn auch erbittertes Diskussionsthema in der Pause. Dummheit sagen die einen, Pech die anderen. Die Wahrheit dürfte wie so oft in der Mitte liegen.
Beim Halbzeittalk mit Thomas Kirschner vom Team Fanbelange geht es heute um „Mitgeredet digital“ mit Peter Knäbel und Christina Rühl-Hamers, den ersten Mitgliederkongress am 3.12. und die kommenden Auswärtsspiele. Bei „Fanprojekt auf Achse“ gibt es noch freie Plätze für Jugendliche für die Tour nach Bremen.
Die Schalker Spieler kehren deutlich vor ihren Kontrahenten wieder auf den Rasen zurück. Die Nordkurve ölt derweil die Kehlen mit „Schalke und der FCN“, „Stadion geh’n im Pappbecher Bier“, „Immer wieder S 04“ und „Hier regiert der S 04“, was leider nicht den Kräfteverhältnissen auf dem Feld entspricht. Günter (49.), Grifo (53.) und Kübler (54.) und erneut Grifo nähern sich teilweise gefährlich dem Tor von Schwolow.
Und spieltäglich grüßt das Murmeltier aus dem Kölner Keller
Reis reagiert und bringt Mohr für Karaman und Terodde für Polter (56.). Schwolow pariert einen Schuss von Doan, dann taucht auf dem Videowürfel das mittlerweile auf Schalke verhasste Pfeifensymbol auf. Der VAR hat Schiedsrichter Christian Dingert auf einen Zweikampf zwischen Calhanoglu und Jeong aufmerksam gemacht – und die Entscheidung lautet Foulelfmeter. Inhaltlich wohl vertretbar, aber der Eindruck, dass gegen Schalke jedes noch so kleine Zucken genauestens überprüft wird, während anderswo der Keller selbst bei „dicken Klöpsen“ stumm bleibt, wird immer stärker und führt zu heftigen „Schei** DFB“-Rufen.
Grifo lässt sich durch das lautstarke Pfeifkonzert aber nicht beeindrucken und verwandelt den Strafstoß mit einem platzierten Schuss ins rechte obere Toreck zum 0:2 (61.). Die Nordkurve schüttelt sich kurz und besinnt sich sofort wieder auf „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ und „Wir lieben alle nur den FC Schalke“.
Bei den Gästen kommen Höler und Kyereh für Gregoritsch und Jeong. Kyereh führt sich direkt mit einer kleinen Schauspieleinlage ein, die Krauß eine Gelbe einträgt, obwohl er klar den Ball trifft – die Nordkurve stellt daraufhin einige Vermutungen über den Beruf seiner Mutter an.
Jedes Spiel, ist doch klar
Schwolow kann einen Schuss von Kübler parieren (74.), auf der Gegenseite köpft Terodde knapp neben das Tor (76.). Christian Streich bringt mit Schade und Weißhaupt für Doan und Grifo zwei junge Spieler – und Krauß hat frei vor Flekken die große Chance zum Anschlusstreffer, schießt jedoch den Keeper an (77.). Schade!
Kurz darauf muss er Platz für Latza machen; die Fans in der Nordkurve sind mittlerweile über die „Asozialen Schalker“ in einer Dauerschleife von „Wir sind da, jedes Spiel, ist doch klar“ gelandet – ob ganz unten oder oben, scheißegal, wir sind da! Auf den anderen Tribünen setzt derweil bereits die Massenabwanderung ein.
Die nächste Chance geht an Mohr, doch seine Direktabnahme von Terodde verfehlt das Toreck knapp (83.). Freiburg tauscht Kübler gegen Sildillia und hat durch Höler ebenfalls noch eine gute Möglichkeit, doch dessen Kopfball verfehlt das Tor (86.). Ginter und Yoshida werden beide noch gelbverwarnt, zwei ergebnislose Freiburger Ecken in der Nachspielzeit später ist die Messe gelesen: 0:2 Endstand, die sechste Niederlage in Folge.
Nur die Fans sind erstklassig – Schalke braucht dringend Verstärkungen
Freiburg bleibt damit auf dem dritten Rang, Schalke behält die rote Laterne. Es hat sich bewahrheitet, was bereits die letzten Auftritte unter Kramer vermuten ließen: Unabhängig von der Taktik und dem Einsatz muss an der Erstligatauglichkeit der Mannschaft gezweifelt werden. Zum Glück hat Sportvorstand Peter Knäbel für die Winterpause bereits Verstärkungen angekündigt.
Da man den Spielern in puncto Einsatz wie bereits in Berlin keinen Vorwurf machen kann, gibt es kein böses Wort, keinen Pfiff aus der Nordkurve, stattdessen aufmunternden Applaus und „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen!“ Es bringt nichts, die ohnehin enttäuschte Mannschaft noch weiter zu demoralisieren, wenn überhaupt schaffen wir den Klassenerhalt nur GEMEINSAM!