Schalke 04 – KFC Uerdingen 1:3: Gefühl gut, Fußball sch…lecht
19. August 2020300 Fans freuen sich wie die Schneekönige, endlich wieder Schalke live im Stadion erleben zu dürfen – am Ende sind sie ob der streckenweise peinlichen Darbietung gegen den KFC Uerdingen restlos bedient. Zu allem Überfluss steuert auch noch Kevin Großkreutz ein Elfmetertor zur 1:3-Niederlage gegen den Drittligisten bei. Susanne Hein-Reipen hat im Parkstadion ganz genau hingeschaut…
Vieles deutet darauf hin, dass die Bundesliga zumindest bis Ende Oktober mit reinen Geisterspielen starten muss, mit der von vielen Fans heiß ersehnten Normalität („alle oder keiner“) ist angesichts erneut steigender Corona-Infektionszahlen nicht zu rechnen. Der FC Schalke 04 versucht, seinen treuen Anhängern den „Entzug“ etwas leichter zu machen: Nicht nur, dass alle Testspiele kostenlos auf dem YouTube-Channel des Vereins übertragen werden, für die Kicks im heimischen Parkstadion – nunmehr offiziell als Jugend- und Amateurstadion mit 3.000 Plätzen zugelassen – werden jeweils 300 Karten verlost, so dass zumindest einige Fans unter Beachtung der Hygiene- und Abstandsregeln kostenlos etwas Stadionatmosphäre schnuppern dürfen.
Der Service des Teams der Abteilung Fanbelange ist einmal mehr spitze, neben detaillierter Vorabinfo u. a. zu den Hygieneregeln folgt kurzfristig noch eine Warnmail zur Sperrung der Brücke über den Ernst-Kuzorra-Weg. Auf dem Berger Feld angekommen, schlummert die Arena unter einem blau-weißen Himmel, hach. Die Karten gibt es, schön mit Abstand und Mund-Nasen-Maske, an der Kasse West.
Alles vertraut und doch wie neu
Der Mannschaftsbus des KFC steht schon vor der Knappenschmiede, als die Fans am Medicos vorbei Richtung Parkstadion marschieren. Spätestens beim Anblick der Parkallee und des Flutlichtmasts steigen unweigerlich unzählige Erinnerungsbilder an knapp 40 Jahre Lieben und Leiden, Jubeln und Trauer hoch.
Das Eingangsportal über der ehemaligen Gegengerade ist neu gestaltet, die zwei schlichten weißen Blöcke sollen an das historische Portal der Glückauf-Kampfbahn erinnern. Mundschutz und Handdesinfektion sind neu, können aber die Gänsehaut beim Betreten „historischen Bodens“ nicht mindern. Anders als früher fällt der Blick von der Gegengerade nicht auf die Haupttribüne, sondern weit über das umgestaltete Trainingsgelände bis zur Geschäftsstelle, auf deren Dach unermüdlich das Schalke-Logo rotiert.
Der Parkstadion-Geruch fehlt
Leider ist auch die Nordkurve mit dem berühmt-berüchtigten Block 5 nur noch ein Erdwall – und der typische Parkstadion-Geruch fehlt, diese einzigartige Mischung aus meist nassem Rasen, Bier, Schweiß, Rauch, Erbsensuppe, Vorfreude und ein paar Sachen, über die man lieber nicht allzu genau nachdenken möchte. Die sanitären Anlagen sind jedenfalls im neuen Jahrtausend angekommen…
Die Sitzreihen wurden schön aufpoliert und ausgedünnt, die Blöcke umbenannt, aus T beispielsweise wurde D. Zudem markieren aktuell blaue Punkte den gewünschten Abstand. Die Mannschaften machen sich nicht auf dem Rasen, sondern getrennt auf den Plätzen 2 und 3 warm.
Gegen 17.45 Uhr schreitet Stadionquatscher Dirk mit einem jungen Fan zur Begrüßung und erinnert erneut an die Coronaregeln: Außer auf dem eigenen Sitzplatz soll der Mundnasenschutz getragen werden – und sollte sich ein Ball auf die Tribüne verirren: Nicht mitte Fingers anfassen…!
Nach einem „Highway to hell” folgt die Schalker Aufstellung: David Wagner startet mit Fährmann, Becker, Kabak, Stambouli, Mendyl, Rudy, Serdar, Harit, Bozdogan, Skrzybski und Uth. Ein „Zeig mir den Platz in der Kurve“ später schreitet Benjamin Stambouli mit der Binde am Arm zur Platzwahl, dann wird angepfiffen.
Klassenunterschied? Keine Spur!
Kurz darauf wird auch die Aufstellung der Gäste verlesen; der KFC beginnt ganz in Gelb mit Müller, Traoré, Girdvainis, Velkov, Dorda, Wagner, van Ooijen, Kinsombi, Pusch, Ibrahimaj und Osawe, laut wird es aber erst auf der Ersatzbank, schließlich nimmt dort Ex-Lüdenscheider und erklärter Antischalker Kevin Großkreutz Platz.
Eine beliebte Floskel bei Mannschaften aus unterschiedlichen Ligen ist „Von einem Klassenunterschied ist nichts zu sehen“ – und selten war das so wahr wie heute. Der KFC denkt gar nicht daran, in Ehrfurcht zu erstarren, sondern marschiert munter drauflos und geht schon in der 4. Spielminute durch Pusch mit 1:0 in Führung. Mendyl als klar letzter Mann hatte es vorgezogen, Abseits zu reklamieren, statt Pusch ernsthaft anzugehen.
Einige Minuten später sieht der Torschütze Gelb für ein deutlich zu rustikales Einsteigen gegen Stambouli, das herzhafte MERDE! des Gefoulten ist weithin zu hören. Der KFC bleibt jedoch im Vorwärtsgang, doch Kabak (14.) und Fährmann (18., 22.) retten gegen den schnellen Osawe und kassieren Szenenapplaus.
Verdiente 2:0-Führung für den KFC
Am Zaun vor der Medicos-Baustelle verfolgen noch etliche Schalker ohne Karte das Spiel, sie sehen einen weiter mutigen KFC und eine teilweise indisponierte Schalker Abwehr. Vorne bemühen such Skrzybski und Bozdogan um Entlastungsangriffe.
In der 24. Minute fällt das 2:0 für die Gäste, Osawe entwischt Mendyl und legt quer auf van Ooijen.
Kurz darauf überrennt Osawe wieder bei einem Tempogegenstoß die Schalker Abwehr, im Publikum werden erste sarkastische Bemerkungen laut. Auffällig ist, dass von der KFC-Bank nahezu im Minutentakt Kommandos und Aufmunterungen über den Platz schallen, während es auf der Schalker Seite sehr ruhig bleibt.
Die Schalker Chancen resultieren meistens aus Standards; Amine Harit setzt einen Freistoß knapp neben das Tor (33.), Bozdogan trifft zweimal den Pfosten (34., 38.), dazwischen versemmelt Osawe noch eine Hundertprozentige. Puh.
In der Halbzeitpause gibt Thomas „Kirsche“ Kirschner am Mikrophon von Quatscher Dirk Infos über die Möglichkeiten für Fans im anstehenden Trainingslager weiter und versetzt zur allgemeinen Erheiterung auf Dirks Frage „Na, freuste Dich auf die zweite Halbzeit?“ trocken „Joa, die Pommes sind lecker, die Currywurst auch…“.
Alte Abneigung rostet nicht
David Wagner wechselt indes alle außer Ralf Fährmann, dessen Loris-Karius-Gedächtnispferdeschwänzchen bei der Gelsenkirchener Damenwelt nicht so dolle ankommt, durch – ein klarer Fingerzeig auf die alte und neue Nummer 1. Konkurrent Markus Schubert hockt dann auch mit einem ziemlich langen Gesicht auf der Ersatzbank. Auf dem Platz stehen nunmehr Schöpf, Thiaw, Nastasic, Oczipka, Boujellab, Mercan, Raman, Matondo, Kutucu und Burgstaller. Auch Stefan Krämer tauscht Osawe, Kinsombi, Ibrahimaj, Girdvainis, und Wagner gegen Mörschel, Feigenspan, Kobiljar, Fechner und Maroh.
Das Spiel ist jetzt ausgeglichener, ohne dass Schalke zu zwingenden Chancen käme. Thiaw köpft eine lange Flanke von Oczipka Richtung Tor, kann Müller aber nicht in Bedrängnis bringen.
Nach einer guten Stunde wechselt Krämer erneut: Für Dorda, Traoré, Pusch und van Ooijen kommen Grimaldi, Anapak, Schneider und – Kevin Großkreutz. Sofort ertönen auf der ansonsten ziemlich ruhigen Tribüne „AUF DIE KNOCHEN!“, „Alle auf die 6!“ und das Schimpfwort, das Dietmar Hopp nicht gerne hört. Tja, Großkreutz mag die Schalker nicht, die Schalker mögen Großkreutz nicht, isso.
Höchststrafe: Großkreutz trifft
Dummerweise stören die Pfiffe bei jeder Ballberührung den Dönerwerfer nicht im Geringsten, im Gegenteil: Nastasic und Feigenspan geraten im Strafraum aneinander, der Schiedsrichter zeigt auf den Punkt – und Großkreutz schnappt einem Mannschaftskameraden den Ball vom Fuß weg und schiebt unter den Pfiffen der anwesenden Zuschauer flach rechts ein. Argh!!!
„Schämt euch!!!“ schreit ein Zuschauer in Block D, als Großkreutz feixend abzieht. Auch bei Kapitän Mascarell, der die Partie aufmerksam hinter der Bande verfolgt, werden die Sorgenfalten tiefer. Daneben tuscheln Konditionstrainer Leuthard und Mannschaftsbetreuer Riether; Kaderplaner Reschke, der die Partie neben Pressesprecher Marc Siekmann verfolgt hat, ergreift vorzeitig die Flucht. Weston McKennie und Salif Sané raufen sich auf einem Golfkarren hinter der Trainerbank die Haare.
Nach dem 3:0 ist der Drops gelutscht, die weiteren Schussversuche werden sichere Beute der beiden Keeper. Ein Ordner, der ein über die Bande geflogenes Spielgerät vorbildlich mit Handschuhen wieder auf den Rasen zurückträgt, wird von den Fans mit deutlich mehr Applaus bedacht als die Spieler. Der Ehrentreffer für Schalke resultiert aus einer schönen Einzelaktion von Kutucu, der sich den Ball mangels Anspielstation vom rechten auf den linken Fuß umlegt und Keeper Müller von der Strafraumgrenze aus auf dem falschen Fuß erwischt. Das 1:3 ist zugleich der Endstand.
Abwehrverhalten und Körpersprache bereiten Fans große Sorgen
Die Fans sind sich einig: Das war nix – es muss dringend etwas passieren. Doch über das WAS gehen die Meinung angesichts leerer Kassen weit auseinander, aber in dieser Form droht Schalke eine extrem schwierige Saison. Weder Trainer noch Mannschaft wirken, als hätten sie Vertrauen in ihre eigenen Stärken …
Doch auch wenn die Mannschaft alles zu tun scheint, um die Fans zu vergraulen und man ein Testspiel im Allgemeinen und mit nur 300 Zuschauern im Besonderen natürlich nicht mit einer vollen, brodelnden Arena vergleichen kann: Es tut einfach gut, mal wieder auf Schalke zu sein. Glückauf!