Paderborn – Schalke 3:1: Desaströser Auftritt bringt Fans auf die Barrikaden
30. September 2023Auch im Spiel 1 nach Thomas Reis geht der FC Schalke 04 mit 1:3 (0:1) beim SC Paderborn unter. Die Mannschaft präsentiert sich spielerisch und kämpferisch so erbärmlich, dass selbst die treuen Auswärtsfahrer den Support einstellen, höhnisch jeden angekommenen Ball bejubeln und am Ende „Wir sind Schalker und Ihr nicht“ skandieren. Susanne Hein-Reipen über einen schlimmen Abend…
Die Bilanz der Königsblauen an der Pader ist vor dem Spiel makellos, dazu besteht die Hoffnung, dass das Team nach der umstrittenen Entlassung von Thomas Reis befreit aufspielt. Die Schalker, die eine der begehrten Karten für das Spiel in der mit nur 15.000 Zuschauern restlos ausverkauften „Home De Luxe-Arena“ ergattern konnten, kämpfen sich daher durchaus optimistisch durch die Staus zum Herbstferienbeginn und die „interessante“ Verkehrsführung rund um das Stadion. Für Planung steht das P in Paderborn schon mal nicht.
Kehren neue Besen gut?
Die Kontrollen am Gästeeingang sind fair, das Cateringangebot überschaubar. Beide Teams werden zum Warmmachen von ihren Anhängern mit Applaus begrüßt, auf Schalker Seite geleitet von Mike „Buyo“ Büskens. Der Stadionsprecher verzichtet erfreulicher Weise auf überflüssige Mätzchen und übersteuerte Musik.
Interimscoach Matthias Kreutzer beginnt mit Langer, Brunner, Kalas, Kaminski, Ouwejan, Seguin, Schallenberg, Ouédraogo, Lasme, Polter und Murkin; auch die Aufstellung der Gastgeber wird mit wenig Brimborium vorgestellt. Das Vereinslied ist durch die Lautsprecheranlage zumindest im Gästeblock nicht wirklich gut verständlich, viel Paaaaderborn und Ohohohooo.
Zum Einlaufen der Mannschaft steigt dann auch die königsblaue Kurve mit voller Stimmgewalt ein, „Hurra, hurra, die Schalker die sind da“ und „Wir komm‘n von Berger Feld, Malocher ohne viel Geld“ sind angesagt.
Anfangsphase offenbart Mängel auf beiden Seiten
Erste Aktion auf dem Rasen ist ein Vorstoß von Lasme, der sofort von Hoffmeier umgelegt wird, die anschließende Freistoßflanke bekommen die Gastgeber entschärft (1.). Die erste Schalker Ecke landet bei SCP-Keeper Huth (5.). Die Gastgeber leisten sich in dieser Anfangsphase viele Fehlpässe, aus denen Schalke allerdings keinen Gewinn ziehen kann. Ein Kopfball von Schallenberg landet genau in den Armen von Huth (6.), Ouédraogo verrutscht ein Abschluss deutlich über die Kiste (9.).
Der Gästeblock supportet mit „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“, „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“ und „Wenn wir uns‘re Stimme heben, sollst Du immer alles geben“ weiter; Murkin holt die nächste Ecke heraus (11.), die jedoch nur zu einem Konter über Platte und einer Ecke auf der Gegenseite führt. Der erneute Versuch von Lasme, Richtung Paderborner Tor zu marschieren, zerschellt an Schuster.
Auch wenn Schalke in der ersten Viertelstunde mehr vom Spiel hatte, geht die erste echte Chance auf das Konto des SCP: Klaas flankt von links auf Grimaldi, der entwischt Kalas und Kaminski und köpft mit dem Hinterkopf wuchtig an die Latte. Puh…
Ex-Schalker Platte kurz vor der Pause mit der Führung für Paderborn
Auch diese Schrecksekunde kann die mitgereisten königsblauen Fans nicht stoppen, lautstark werden „Geh‘n mit dir auf jede Reise“, „Schalke nur Du alleine“ und „Auf geht‘s Blau-Weiß, holt euch den Sieg für uns“ angestimmt, während ein kurzer Wolkenbruch über dem Stadion niedergeht. Auf dem Feld kommen die Hausherren zunehmend mutiger ins Spiel und tauchen mit Grimaldi, Platte, Muslija und Obermair mehrfach vor dem Schalker Tor auf. Nach einer Ecke für Paderborn rettet Langer reaktionsschnell gegen einen heimtückischen verdeckten Schuss von Klaas (26.). Ein Gegenstoß von Polter landet neben dem Tor (29.).
Das Spiel geht in dieser Phase hin und her, Klaas läuft ins Abseits (31.), Ouwejans Steilpass findet keinen Abnehmer (33.), zwei Ecken für Schalke (36./37.) werden von Paderborn abgewehrt und ein vielversprechender Vorstoß nach Flanke von Brunner rechts überrascht zunächst Murkin; den Abpraller verschießt Ouédraogo (40.).
Dann kommt es, wie es kommen musste: Wer vorne nicht trifft, kassiert hinten einen – und wie so oft trifft ausgerechnet ein Ex-Schalker: Muslija vernascht auf links seinen Ex-Mannschaftskameraden Schallenberg und passt nach außen auf Klaas, der viel Platz hat und Platte im Fünfer eine Steilvorlage liefert, die dieser per Kopf aus kurzer Distanz zum 1:0 verwandelt (43.). Immerhin: Platte verzichtet danach fair auf jeglichen übertriebenen Jubel gegen seinen Jugendklub. Der Frust im Gästeblock sitzt dennoch tief, bei der kurz darauf folgenden Halbzeit setzt es erste Pfiffe.
Schalkefans stellen den Support ein
Beim Pausenplaudern am Bierstand herrscht Einigkeit: Von Schalke muss mehr kommen, deutlich mehr – und Thomas Reis war offensichtlich nicht das Problem!
Beide Mannschaften kommen zunächst personell unverändert aus der Kabine, vom Gästeblock begrüßt mit „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ und „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n, immer wieder feuern wir euch an“. Die ersten Minuten lassen noch einmal leise Hoffnung aufkommen, aber Polter steht zweimal ganz knapp im Abseits (47., 50.), eine Ecke bringt nichts ein.
Dann wird es bitter: Obermair marschiert und bedient am Sechzehner Grimaldi, der unsanft von Brunner gestoppt zu Fall kommt – Elfmeter? Unter lautstarkem „Scheiss DFB“- Wechselgesang beider (!) Fankurven prüft der VAR, ob Grimaldi bereits vorher im Abseits stand, dann zeigt Schiedsrichter Gerach auf den Punkt, Gelb für Brunner gibt’s gratis obendrauf. Diese Chance lässt sich Muslija nicht nehmen und verwandelt mit einem strammen Schuss unter die Latte zum 2:0 (53.).
Das Tor löst gleich mehrere Reaktionen aus: Kreutzer wechselt Kabadayi (für Ouwejan) und Tempelmann (für Seguin) ein – und die Gästekurve versinkt in frustriertem Schweigen, auch die Fahnen halten unbewegt still. Wer die unverbrüchliche Treue kennt, mit der normalerweise selbst in aussichtslosen Situationen supportet wird, solange die Mannschaft nur Einsatz zeigt, weiß: Alarmstufe rot.
Hohn und Spott für die eigene Mannschaft
Die Schalker Spieler sind sichtlich verunsichert, einzig von den Youngstern Kabadayi und Ouédraogo geht noch etwas Offensivpower aus, doch alleine können auch sie keine Trendwende erzwingen (60., 62., 63.). Kurz darauf muss Ouédraogo für Drexler weichen, Mohr kommt für Lasme (65.).
In der 69. Minute muss Grimaldi kurz im Schalker Strafraum behandelt werden und wird mit blutender Nase vom Feld begleitet, kann aber weitermachen; Kaminski senst Platte um und sieht ebenfalls Gelb (71.). Paderborn hat das Geschehen gut im Griff und ersetzt Klaas durch Nadj, bei Schalke darf Karaman für Murkin ran (74.).
Dann folgt der endgültige K. O.: Ballverlust Schalke, über Müller und Nadj kommt das Leder blitzschnell zu Muslija auf links, der in aller Ruhe auf den rechten Fuß wechselt und an Langer vorbei zum 3:0 ins lange Eck vollendet (76.). Der Treffer löst im Gästeblock Hohngelächter aus, die bereits eingerollten Fahnen werden eingesammelt, Banner abgehängt; beide Vorsänger stützen sich resigniert aufs Geländer. Trotz Fangnetz schaffen es einige Becher bis aufs Spielfeld, was natürlich sofort die Ermahnung „Das Werfen von Gegenständen ist verboten“ nach sich zieht.
Matthias Kreutzer schaut an der Seitenlinie mehr als unglücklich aus der Wäsche, auch der zuvor äußerst engagiert mitcoachende Büskens vergräbt das Gesicht in den Händen. Bei Paderborn kommt Ansah für Platte, Grimaldi sieht Gelb für ein Foul an Drexler, ebenso Schallenberg für ein Foul gegen Nadj (84.). Coach Kwasniok schöpft nun auch mit einem Dreifachwechsel das Kontingent aus und nimmt so weitere Sekunden von der Uhr, aber die Schalker Spieler scheinen sich bis auf wenige Ausnahmen ohnehin aufgegeben zu haben.
Wir sind Schalker und Ihr nicht!
Der Paderborner Anhang hat natürlich viel Spaß, „Nur der SCP“ und „Absteiger, Absteiger“ weht herüber. Auf der Gegenseite wird mittlerweile jeder getroffene Ball sarkastisch mit „hey!“ gefeiert. Langer rettet per Fußabwehr gegen Conté (87.), dann gibt es zwei weitere Ecken für Königsblau (insgesamt 2:10), die jedoch auch nichts einbringen. Zum allgemeinen Erstaunen bzw. Entsetzen befindet der vierte Offizielle auf satte 9 Minuten Nachspielzeit, wofür auch immer.
Brunner setzt einen Ball steil über das Fangnetz und kassiert erneut höhnischen Applaus, Conté verpasst vor dem leeren Tor das 4:0 (90+6.), stattdessen betreibt Kabadayi mit einer schönen Einzelaktion von rechts noch etwas Ergebniskosmetik und trifft vor dem Schlusspfiff zum 1:3 (90+9.).
Die Mannschaft scheint zu wissen, was die Stunde geschlagen hat und kommt nur sehr zögerlich vor die Kurve, angeführt von Karaman. Dort entlädt sich der angestaute Frust in einem Pfeifkonzert und zahlreichen Beschimpfungen, Bierbecherwürfen und der verbalen Höchststrafe „Wir sind Schalker und Ihr nicht“ und „Schämt Euch, ehrlose Wixxer“. Die Spieler nehmen die Demütigungen ohne erkennbare Regung entgegen und machen schnell wieder kehrt; das Interimstrainerteam beobachtet das Geschehen unglücklich aus dem Hintergrund.
„Himmeltraurig naiv“
Die Paderborner feiern derweil überglücklich („Wir sind alles Paderborner Jungs“) den ersten Heimsieg überhaupt über Königsblau – Schalke hat mehr Mitglieder als Paderborn Einwohner – und springt mit nunmehr 11 Punkten vorübergehend auf Platz 8; Schalke bleibt mit 7 Zählern auf Relegationsplatz 16 stecken und kann, wenn es ganz dumm läuft, von Braunschweig und Osnabrück über- bzw. eingeholt werden.
Kreutzer („Wenn wir individuelle und gruppentaktische Fehler nicht ganz schnell abstellen, wird es ganz schwer werden, zu punkten“), Langer („Das ist von uns, von jedem Einzelnen zu wenig“) und Knäbel („Das war in allen Sequenzen zu wenig, es war himmeltraurig naiv. Man darf sich nicht so präsentieren wie wir heute, wir sind Schalke 04.“) gehen in den Interviews nach dem Spiel hart mit der Mannschaft ins Gericht. Die brisante Stimmung unter den Fans entschärfen schöne Worte aber nicht, auch wenn es an der heimischen Arena bei Rückkehr des Mannschaftsbusses mit großer Polizeieskorte ruhig bleibt – vor dem kommenden Heimspiel gegen Hertha ist Schalke ein großes Pulverfass.