Nürnberg/Schiedsrichter – Schalke 3:1: Schalke nach guter erster Halbzeit übel verpfiffen

Nürnberg/Schiedsrichter – Schalke 3:1: Schalke nach guter erster Halbzeit übel verpfiffen

11. August 2024 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 muss sich bei den Fanfreunden des 1. FC Nürnberg trotz einer 1:0-Führung nach einem guten ersten Durchgang nach einer absurden gelb-roten Karte für Ron Schallenberg mit 1:3 geschlagen geben. Die Wut der rund 15.000 Schalker im ausverkauften Max-Morlock-Stadion konzentriert sich nach der Niederlage auf Schiedsrichter Nicolas Winter, die Mannschaft wird nach dem Schlusspfiff von der Kurve wieder aufgebaut. Susanne Hein-Reipen berichtet…

Nürnberg gegen Schalke, das Duell zur bekanntesten Fanfreundschaft in Deutschland, ist natürlich ein sehr begehrtes Spiel und so rollt bereits am Freitag eine stattliche Karawane von Fahrzeugen mit 1904-Kennzeichen oder blauweißen Devotionalien die A 3 und viele, viele Baustellen hinab Richtung Süden. In der Altstadt wartet die Belohnung mit netter Gesellschaft und leckeren fränkischen Spezialitäten in flüssiger und fester Form.

Gleis 04 ¾

Die Anreise zum traditionsreichen Max-Morlock-Stadion gestaltet sich dieses Mal aufgrund von Gleisbauarbeiten komplizierter als sonst, aber Sondergleise und kreative Umwege bringen alle Fußballfans bei perfektem Fußballwetter ans Ziel. Drei im Weggla und fränkisches Bier schmecken auch zum Frühstück.

An der Ticketkontrolle erwartet dann viele Schalker auf der Haupttribüne ein Schreck: Die QR-Codes der ordnungsgemäß über Schalke bezogenen Auswärtstickets für Block 34 funktionieren nicht, ein kleiner Fußmarsch zum Fanladen ist angesagt. Dieser entpuppt sich als Hinterzimmer des Fanshops und die Besatzung hilft unbürokratisch mit Ersatztickets im gleichen Block aus.

Am Start sind auch die Schalker Aufsichtsräte Hefer und Kirstein, die sich gutgelaunt mit einem Nürnberger Pendant austauschen. Die Begrüßung durch den Stadionsprecher ist freundlich, über dem Gästesteher wird das lange Banner der Nordkurve Gelsenkirchen entrollt.

Werde Teil der Legende

Beide Torhüterteams werden freundlich begrüßt, als sie zum Warmmachen auf den Platz kommen; die Statistiken sprechen ziemlich deutlich für die Gäste aus Gelsenkirchen. Das Spieltags-Shirt wird stilgerecht von Florian Flick, Nürnberger mit Schalker Migrationshintergrund, beworben, ist jedoch nicht zu finden.

Während sich die Mannschaften aufwärmen, steht Chefcoach Karel Geraerts gutgelaunt im sky-Interview Rede und Antwort. „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich“ in voller Länge gehört ebenfalls zum guten Ton.

Dann gibt’s charmante Mitgliederwerbung der Hausherren: Unter dem Motto „Die Legende lebt durch dich“ und „werde Teil der Legende“ werden exakt 32.615 Mitglieder  gefeiert; die seit dem letzten Heimspiel neu Hinzugekommenen werden auf den Anzeigentafeln namentlich begrüßt – vielleicht auch eine Idee für Schalke, auch wenn vermutlich irgendwo ein Datenschützer gerade hyperventiliert…?

Was singt heute jeder Fan?

„Schalke und der FCN“ ist sowohl aus den Kurven als auch vom Band angesagt, dazu drehen die „Miniclubberer“ stolz eine Stadionrunde. Auf dem Platz verschaffen derweil die wildgewordenen Rasensprenger den Schalkern eine Dusche; über die Anzeigentafeln flimmern Glückwünsche aller Art.

Der Gästeblock schickt ein kräftiges „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen!“  ins Rund, dann folgt die Schalker Aufstellung, stilecht verlesen durch den königsblauen Quatscher Dirk Oberschulte Beckmann, der sich artig für die Einladung bedankt. Da auch Seguin leider nach dem Aufwärmen passen muss, starten Heekeren, Murkin, Kaminski, Cissé, Mohr, Bachmann, Schallenberg, Gantenbein, Karaman, Höjlund und Sylla.

Nürnberg-Coach Miroslav Klose schickt bei seinem Heimdebüt Reichert, Soares, Knoche, Jeltsch, Hofmann, Flick, Castrop, Pick, Jander, Okunuki und Schleimer ins Rennen. Die wunderbare Vereinshymne „Die Legende lebt“ steht heute ganz im Zeichen des Gedenkens an Susanne Princiotto; die gute Seele der Ticketing-Abteilung verstarb in der Sommerpause und wird von der heimischen Nordkurve mit einer berührenden Choreo geehrt. „Ruhe in Frieden Susanne“ und „God let us go now and finish what’s to be done“ und viele schwarze Tafeln rahmen ihr Portrait ein.

Erste Halbzeit geht klar an Königsblau

Die Teams werden beim Einlaufen von zahlreichen Traditionsfahnenträger beider Clubs begrüßt, dann rollt der Ball. Zur Freude des Anhangs aus dem Ruhrpott scheint Schalke da weitermachen zu wollen, wo in der Vorwoche beim begeisternden 5:1-Heimsieg über Braunschweig aufgehört wurde, Sylla startet bereits in der ersten Spielminute den ersten Vorstoß.

Die Abtastphase wird musikalisch unterlegt mit „Schalke nur du alleine“, „Um die halbe Welt sind wir gefahrn“ und „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“, von den Nürnbergern klingt das vertraute „Auf geht’s Nürnberg kämpfen und siegen“ herüber. In beiden Fanblöcken weht jeweils eine Ultrafahne des Gegenübers und die Fahne „Schalke und der FCN“, auf denen sich die Maskottchen zuprosten.

Wie bereits in der Vorwoche präsentiert sich Keeper Heekeren sehr aufmerksam und klärt in der 17. Minute reaktionsschnell gegen Schleimer. Eine Ecke für Schalke bringt nichts ein, dann hat Karaman nach einem Einwurf von Bachmann die große Chance zur Führung, verzieht aber aus gut 10 Metern (21.).

Die Schalker sind in dieser Spielphase lautstark angefeuert mit „Wir komm‘n vom Berger Feld“ klar am Drücker, doch weder der Freistoß von Mohr (25.) noch ein Kopfball des freistehenden Bachmann (27.) schaffen es über die Linie. Heekeren langweilt sich ganz alleine in seinem Strafraum und rückt bis fast zur Mittellinie auf.

Verdiente Führung und der Aufreger des Tages

Nach einer kurzen Trinkpause geht es auf dem Rasen weiter, Schallenberg sieht Gelb wegen Meckerns, auch Castrop erhält eine Verwarnung (41.). Auf den Rängen werden die Nürnberger Gesänge „Seht ihr die Fahnen weh’n“ und „Wir sind Nürnberg, keiner mag uns“ mit dem „Königsblauen S 04“ und „Geh‘n mit dir auf jede Reise“ beantwortet.

Cissé bekommt eine Mohr-Flanke nicht ganz unter Kontrolle (42.), dann sieht auch Jander Gelb wegen einer Schwalbe (44.). Und dann zahlt sich die Schalker Überlegenheit endlich aus: Flanke Mohr Richtung Fünfmeterraum, Cissé rauscht heran und trifft aus kurzer Entfernung flach zur 1:0-Führung in die rechte Ecke (45+1.). Jeltsch und Reichert bekleckern sich in dieser Szene nicht mit Ruhm, dem Jubel des Schalker Anhangs tut das keinen Abbruch.

Höjlund hat sogar noch das 2:0 auf dem Fuß, sein Abschluss liegt jedoch zu hoch (45+3.) – und dann wird Schiedsrichter Winter durch eine absurde Fehlentscheidung zum spielentscheidenden Akteur: Nach einem Allerweltszweikampf zwischen Schallenberg und Jander, bei dem der Nürnberger der Schalker Nummer 6 eine kleine Fleischwunde zufügt, stellt er Schallenberg mit Gelb-Rot vom Platz.

Dank Überzahl: Nürnberg dreht das Spiel

„Ist der völlig verrückt geworden?!“ spricht ein verblüffter Schalker aus Bamberg aus, was nahezu alle denken. Selbst die weit überwiegende Mehrzahl der FCN-Fans hätten diese Ampelkarte niemals gezogen. Über die erbitterten Diskussionen, dass in einer solchen Situation nicht einmal der VAR einschreiten darf, gerät das Pausenprogramm mit den Clubfrauen und der Anti-Diskriminierung-Hotline zur Nebensache.

Beide Trainer reagieren auf die Schalker Dezimierung; Geraerts bringt zum Wiederanpfiff Aydin für Höjlund, Klose ersetzt Okunuki und Soares durch Forkel und Valentini. Keine 120 Sekunden später schlägt Valentini eine Flanke in den Fünfer, wo Schleimer der sich noch neu formierenden Schalker Abwehr entwischt und zum 1:1 einköpft (47.). Der Stadionsprecher schreit, als hätte der Club gerade die Meisterschaft gewonnen.

Der Gästeblock schüttelt sich einmal kurz und macht mit „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“ und „Für deine Farben leben und sterben wir“ weiter, die Nordkurve Nürnberg zeigt ein Banner „Videobeweis abschaffen“ und stimmt „Immer wieder FCN“ und „Steht auf für den FCN“ an. Karaman sieht gelb (54.) und kurz darauf schlägt ein scharfer Schuss von Jander zum 2:1 im Schalker Tor ein (56.). Sch….ade.

Schafft Schalke die Wende?

Donkor ersetzt Mohr (66.), Winter schickt auch Jander mit Gelb-Rot zum Duschen (67.), weil dieser Gantenbein tritt, Karafiat kommt für Castrop. Die Gästekurve wittert Morgenluft, da nunmehr auch Nürnberg dezimiert ist und supportet lauthals mit „Schalke, ich bin für Dich geboren“ und „Immer wieder S 04“ – und es sieht zunächst auch gar nicht übel aus, denn Schalke hat durch Karaman (69., 72.) und Sylla (71.) wieder Abschlüsse.

Klose nimmt jetzt Pick runter und verschafft dem jungen Lubach sein Zweitligadebüt, der bedankt sich eine Minute später mit dem 3:1, nachdem Heekeren zuvor einen Schleimer-Schuss nur nach vorne abwehren konnte (77.).  Die Messe ist damit leider gelesen, dementsprechend stimmt der Gästeblock trotzig „Wir sind die Fans, die auch zu dir steh‘n wenn du verlierst“ an.

Bis zum Abpfiff passiert nicht mehr viel; Schleimer wird unter Applaus des Nürnberger Publikums durch den Debütanten Janisch ersetzt (86.), Karaman hat noch zwei Abschlüsse (89., 90.), Bachmann packt Flick ins Gesicht und holt sich ebenfalls noch Gelb ab (90+2.). Die letzte Aktion des Spiels ist ein Solo von Jeltsch, das in den Armen von Heekeren landet (90+3).

Die Kurve feiert die Mannschaft

Durch das 3:1 sind Schalke und Nürnberg nunmehr mit jeweils drei Punkten aus zwei Spielen punktgleich auf den Plätzen 6 und 8. Während die Legende noch einmal lebt, finden sich die Schalker Spieler sichtlich angefressen zum Kreis zusammen, wo ein ebenfalls erkennbar aufgebrachter Geraerts auf sie eintextet.

Als die Mannschaft dann vor die Kurve tritt, wird sie mit frenetischem Applaus und „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ wieder aufgebaut. Auch Geraerts bedankt sich für Support, bevor er in der Pressekonferenz klar die absurde gelb-rote Karte als den „Gamechanger“ nennt. Seine Analyse – gute erste Halbzeit, dann die ersten 15 Minuten in Unterzahl verpennt – können sicher fast alle Schalker unterschreiben.

Bleibt zu hoffen, dass die schmerzlich vermissten Kalas und Seguin nicht zu lange ausfallen und die Mannschaft die positiven Aspekte zur Stabilisierung nutzen kann. Und dass Nicolas Winter nie wieder ein Spiel mit Schalker Beteiligung pfeifen darf…