HSV-Schalke 5:3: Das Spiel, Müller und Ouédraogo begeistern, die Defensive nicht
29. Juli 2023Acht reguläre und drei Abseitstore, Karten, Paraden und Pyro: Der Auftakt der 50. Zweitligasaison zwischen dem HSV und Schalke 04 reißt Fußballdeutschland mit. Am Ende siegt der HSV mit 5:3 (1:2). Susanne Hein-Reipen über ein spektakuläres Spiel…
Nach zwei Monaten Sommerpause brennen alle die Schalker auf den Neustart, zudem ist Hamburg eine interessante Stadt, dementsprechend riesig ist die Nachfrage nach Karten. In die Gäste-Shuttlebusse vom S-Bahnhof Othmarschen mischen sich auch einige heimische Rothosen, die sich etliche Frotzeleien anhören dürfen, bis das Volksparkstadion in Sicht kommt.
Mutige Aufstellung
Vor dem Gästeblock grüßen bereits Fanmobil und –shop, die Wiedersehensfreude ist groß. Bei den Einlasskontrollen erweisen sich die Ordner als durchaus zupackend, zum Trost für die Gelsenkirchener Familienjuwelen warten dahinter direkt mobile Bierverkäufer. Die Bratwurst schmeckt für Ruhrpottgaumen eher mau, dafür sind die Fischbrötchen frisch.
Im Stadion nervt die Musikbeschallung mit einem dezent jaulenden „Der HSV ist wieder da“ ein wenig, dann begrüßen beide Fanblöcke freudig ihr Team, als die Spieler zum Warmmachen auf den Platz kommen. Der verletzte HSV-Kapitän Schonlau gibt ein kurzes Interview, dann folgt die königsblaue Aufstellung: Thomas Reis schickt als Startelf Müller, Ouwejan, Kaminski, Cissé, Brunner, Schallenberg, Ouédraogo, Drexler, Mohr, Karaman und Terodde auf’s Feld.
Als Dino Hermann am Gästeblock vorbeiwackelt, ertönt „Schalke ist die Macht“, die heimische Kurve springt ihrem Maskottchen schnell mit „HSV HSV HSV“ zur Seite. Noch etwas Schmalz „Hamburg hier gehör‘ ich hin“ vom Band und die Aufstellung des Gastgebers, dann marschieren die Mannschaften ein.
Wo sind die Ultras?
In der Nordkurve erscheint ein langes Banner mit der Aufschrift „Dauerkarten und Ticketpreise sozial angepasst/Profitgier stets vermehrt, Rückhalt und Identifikation sind Euch nichts wert“, im ungefähr 6.000 Köpfe starken Gästeblock werden derweil die Ultras Gelsenkirchen vermisst. Laut den königsblauen Buschtrommeln gab es bei einem ihrer Busse einen Reifenplatzer, andere Gerüchte sehen einen dicken Stau als Ursache. Obwohl die Taktgeber für den Support fehlen, wird der Anstoß durch Youngster Ouédraogo von lautstarkem „Vorwärts FC Schalke, schieß ein Tor für uns“ begleitet.
Die Anfangsphase geht an die Gastgeber, insbesondere Glatzel ist kaum zu halten und schießt Müller direkt mehrfach warm, aber der Schalker Keeper pariert gekonnt. Der Beginn ist etwas hektisch, mehrere Ecken auf beiden Seiten bringen nichts ein. Öztunali sieht wegen Haltens gegen Karaman die erste gelbe Karte des Spiels, anschließend sorgt Karaman für die erste Schalker Chance, doch auch HSV-Schlussmann Heuer Fernandes ist aufmerksam. Musikalisch unterlegt wird diese Phase mit „Immer wieder S 04“.
Dann klingelt es im Schalker Tor: Über Meffert und Pherai kommt der Ball zu Glatzel, der mit Links und ohne nennenswerte Belästigung durch die Schalker Abwehr das 1:0 erzielt (17.). Der Heimblock feiert den Treffer mit einigen Bengalos.
Müller hält, Ouédraogo trifft
Nur eine Minute später hat Pherai die Riesenchance, frei vor Müller auf 2:0 zu erhöhen, scheitert aber an einer starken Parade des Torhüters. Heyer sieht Gelb wegen eines Fouls gegen Drexler, vom Schalker Anhang prompt mit „Ihr seid nur ein *urensohnverein“ kommentiert.
Kurz darauf hat die königsblaue Auswärtsmeute allen Grund zum Jubeln: Flanke Karaman, Kapitän Terodde legt geschickt ab und Ouédraogo bleibt cool wie ein Eiswürfel, lässt seinen Gegenspieler aussteigen und erzielt den 1:1-Ausgleich (22.). Das folgende „Hurra, hurra, die Schalker die sind da!“ gilt gleichermaßen dem Treffer wie den eintreffenden UGE. Jetzt geht’s los! Die Fahnen werden verteilt und mit dem Megaphon werden „Schalalalalaaa Schalke 04“ und „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ gestartet. Ouédraogo avanciert mit diesem Treffer zum jüngsten Schalker Profitorschützen.
Ouwejan zur umjubelten Pausenführung
Das Spiel wogt nun zwischen beiden Strafräumen hin und her; Müller klärt per Fußabwehr gegen Pherai (30.), Ramos verpasst eine Hereingabe von Benes (33.), ein Freistoß des HSV aus durchaus aussichtsreicher Position bleibt in der Schalker Mauer hängen (36.), den wuchtigen Nachschuss von Öztunali lenkt Müller mit einer Glanzparade an den Pfosten.
Auf der Gegenseite steht Terodde knapp im Abseits, akustisch begleitet von „Schalke, ich bin für Dich geboren“, „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ und „Eine Stadt erstrahlt in Blau“. Heyer und Glatzel verpassen den Führungstreffer, stattdessen springt Ouwejan ein: In der ersten Minute der Nachspielzeit marschiert Ouédraogo in den Strafraum, die HSV-Abwehr will den Ball aus der Gefahrenzone bugsieren, legt ihn dabei aber Ouwejan vor und der Niederländer bedankt sich mit einem trockenen Direktschuss ins rechte untere Eck. 1:2 zur Pause, jawoll!!!
Die Pausenstimmung in der Gästekurve ist exzellent, einzig das Abwehrverhalten bereitet ein wenig Sorge. Die Heimkurve gratuliert derweil der befreundeten Urban Crew vom FC Kopenhagen zum 20jähriggen Bestehen, zum Wiederanpfiff garniert durch etliche Bengalos. Da lassen sich die Schalker auch nicht lumpen und grüßen lautstark die Nürnberger Freunde, Schaaaalke und der FCN!
HSV dreht das Spiel
Beide Mannschaften kommen personell unverändert wieder auf den Rasen, Müller erweist sich ebenso unverändert als sicherer Rückhalt und klärt gegen Glatzel (50.). Wenig später reißt es die Schalker erneut von den Sitzen, aber Terodde steht beim vermeintlichen 1:3 knapp im Abseits, wie auch der VAR bestätigt (53.). Mit „Wir lieben alle nur den FC Schalke, unsren Kumpel- und Malocherclub“ und „Für deine Farben leben und sterben wir“ wird lautstark supportet.
Kurz darauf hat der HSV-Anhang wieder Oberwasser: Cissé hält Glatzel im Strafraum zu fest, es gibt Gelb und Foulelfmeter, den Benes sicher zum 2:2-Ausgleich verwandelt (56.). In der Nordkurve flammen einige Bengalos auf, dazu gibt’s ein Banner „Volksparkstadion – sonst nix!“
Benes erzielt dann auch nur 04 Minuten später nach einem Konter die 3:2 Führung für den HSV (60.), weil die Schalker Abwehr nicht schnell genug hinterherkommt. Reis reagiert und bringt Seguin und Lasme für Mohr und Ouédraogo, im Gästeblock quittiert durch heftiges Stirnrunzeln, da vor allem Debütant Cissé nunmehr überfordert erscheint.
Cissé als Unglücksrabe
Schallenberg sieht Gelb, ein weiterer Konter über Glatzel wird geblockt, dann darf der königsblaue Anhang wieder eskalieren: Kapitän und Rekordtorschütze Terodde verwertet einen Bilderbuchpass von Schallenberg in allerbester Torjägermanier zum erneuten Ausgleich. 3:3 in der 66. Minute, dieses Spiel lässt weder bei den 57.000 im ausverkauften Volksparkstadion noch Fußballdeutschland vor dem TV offensive Wünsche offen.
Defensiv gilt das leider nicht ganz; Cissé sägt Öztunali von hinten von den Beinen und muss mit Gelb-Rot vorzeitig duschen gehen (71.). Die Gästekurve ist frustriert, denn diese Entwicklung hätte Reis ihrer Meinung nach kommen sehen müssen. Zur Stärkung der Abwehr kommt nun Matriciani für Karaman (72.).
Zwei Treffer in der Nachspielzeit verhelfen dem HSV zum Sieg
Beide Mannschaften schenken sich nix; Drexler und Heyer rasseln im Zweikampf so heftig mit den Köpfen aneinander, dass beide benommen zu Boden gehen und behandelt werden müssen. Die Trainer nutzen die Behandlungspause für weitere Wechsel –Polter und Latza für Terodde und Drexler sowie Dompé und Muheim für Öztunali und Heyer; die Schalker Kurve nutzt sie für einen kreativen Diss Richtung des HSV: „Eure Mütter steh‘n am Millerntor…!“
Werden die zehn Schalker dem Offensivdruck des HSV standhalten können? Zwei vermeintliche Treffer durch Benes (80.) und Glatzel (83.) zählen wegen Abseitsstellung nicht, doch der Druck bleibt hoch, Müller faustet weitere HSV-Ecken aus der Gefahrenzone. Bei einem der in dieser Phase wenigen Schalker Entlastungsangriffe scheitert Lasme alleine vor Heuer Fernandes am Hamburger Schlussmann (85.).
Der Gästeblock gibt stimmlich alles, „Gelsenkirchen-Schalke!“, „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ und „Geh‘n mit dir auf jede Reise“ werden rausgebrüllt, doch die Jungs auf dem Rasen können sich nicht aus der Einschnürung durch die Gastgeber befreien. In der ersten Minute der rund siebenminütigen Nachspielzeit passiert es dann: Van der Brempt auf Glatzel, 4:3 (90+1.). Sch…ade!
Der Torschütze sieht Gelb für Trikotausziehen, Trainer Walter nimmt mit zwei weiteren Wechseln Zeit von der Uhr. In der 90+6. Minute keimt beim königsblauen Anhang noch einmal kurz Hoffnung auf, als Schalke einen Freistoß bekommt, auch Müller ist mit vorne – der folgende Kopfball von Lasme wird jedoch abgefangen und Dompé nutzt das verwaiste Schalker Tor mit einem Kontertor zum 5:3-Endstand aus.
Werbung für den Zweitligafußball und einige Erkenntnisse für Reis
Die Enttäuschung im Gästeblock ist groß, denn dieses Spiel hätte Schalke mit einer etwas geordneteren Abwehrleistung nicht verlieren müssen, so ist der Sieg des HSV leider verdient. Dennoch fällt kein böses Wort, wie bereits in der Vorsaison honorieren die Schalkefans den unbestreitbaren Einsatz mit aufmunterndem Applaus und dem Auftrag „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen!“ Ein Sonderrlob gibt es für die guten Debüts von Müller und Ouédraogo.
Chefcoach Thomas Reis kündigt in der Pressekonferenz nach dem Spiel an, Schalke werde aus den Dingen lernen, die heute nicht gut gemacht wurden. Nach einhelliger Meinung der Richtung Reeperbahn abfahrenden Fans sollte er dabei den Fokus auf Abwehrreihe und defensives Mittelfeld legen, damit das kommende Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern erfolgreich wird.