HSV – Schalke 2:2: Tolle Moral nach bösen Patzern versöhnt die Fans

HSV – Schalke 2:2: Tolle Moral nach bösen Patzern versöhnt die Fans

24. November 2024 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 bietet den fast 8.000 mitgereisten Fans beim 2:2 (2:0) beim Hamburger SV einmal mehr die volle Breitseite königsblauer Emotionen. Dem Frust der ersten Halbzeit mit zwei dicken Patzern und Gegentoren folgt ein starker zweiter Durchgang und ein hochverdienter Auswärtspunkt. Susanne Hein-Reipen berichtet aus Hamburg…

Schalke und der HSV, das bedeutet zwei Traditionsvereine, die sich in erster und zweiter Liga schon viele spannende Duelle geliefert haben. Hinzu kommt: Hamburg ist eine interessante Stadt, dementsprechend riesig ist die Nachfrage nach Karten. Bereits am Freitagabend sind der frivole Weihnachtsmarkt „Santa Pauli“ und die einschlägigen Kneipen am Spielbudenplatz königsblau gefärbt.

Hamburg in Schalker Hand

Am Spieltag steigert sich die Ruhrpottquote im Stadtbild weiter, ob an den Landungsbrücken, auf der Reeperbahn oder in den Kneipen gilt „Hier regiert der S 04!“ Das gilt auch für die Shuttlebusse vom S-Bahnhof Othmarschen, die einheimischen Rothosen dürfen sich etliche Frotzeleien anhören, bis das Volksparkstadion in Sicht kommt. Der Weg zum Gästeeingang ist dunkel und teilweise glitschig vom Schneematsch, aber davon lassen sich Schalker bekanntlich nicht abschrecken.

Das treue Fanmobil ist bereits vor Ort, die Volunteers, welche die Anwesenheitskontrollen durchführen, sitzen komfortabel in den ehemaligen Kassenhäuschen im Warmen. Bei den Einlasskontrollen erweisen sich die Ordner als durchaus gründlich und sehr zupackend, zum Trost für die Gelsenkirchener Familienjuwelen warten dahinter leckere frische Fischbrötchen; die Bratwurst schmeckt für Ruhrpottgaumen eher bescheiden.

Als die Mannschaften zum Warmmachen auf den Platz kommen, zündet die heimische Kurve bei schlanken 4 Grad die ersten Bengalos. Die Banner von Fanclubs mit so klangvollen Namen wie „Sex Machines“ und „Biernot“ erheitern den Gelsenkirchener Anhang, der sich auf „Nordkurve Gelsenkirchen“ konzentriert. Nicht fehlen darf natürlich auch Maskottchen Dino Herrmann, gegen dessen tapsige Bewegungen Erwin ein Ausbund an Beweglichkeit und Eleganz ist.

Musik aus der Hölle

Nicht die feine hanseatische Art: Die Aufstellung der Gäste wird überhaupt nicht verlesen, sondern nur für ca. 15 Sekunden auf den beiden Anzeigetafeln eingeblendet. Chefcoach Kees van Wonderen setzt auf Heekeren, Murkin, Kaminski, Schallenberg, Bulut, Seguin, Grüger, Younes, Bachmann, Sylla und Karaman.

Die Heimkurve skandiert „H! S! V!“ und möchte mit „Scheixxe 04“ provozieren, wird aber kurzerhand mit „Schalke 04“ übertönt. „Hamburg-Schweine“ und eine Attacke gibt’s gratis obendrauf, damit sind den gegenseitigen Ehrerbietungen Genüge getan.

Dann rollen sich allen Schalkern die Fußnägel auf, als Abschlach live vor der Nordkurve „Wir sind der HSV“ performen. Auch beim folgenden „Wo ist …?“ wird der Gästeblock, der gerade über die Bedeutung des Banners „Rehder auch im Volkspark unerwünscht“ grübelt, bei der Begrüßung kurzerhand vergessen.

Dann wird das Licht ausgeknipst, statt dem Steigerlied folgt ein ziemlich schmalziges Stück mit „Hier gehöre ich her … sind die Zeiten auch mal schwer“. Reim Dich oder ich fress‘ Dich! Noch die Aufstellung des HSV und zum Einmarsch ein überlautes „Wir sind Hamburg, wir sind immer da“, dann müssen die übersteuerten Lautsprecher endlich aufhören, die Trommelfelle zu malträtieren.

Der Ball rollt

Der HSV hat Anstoß und kann durch Mikelbrencis und Mulheim die ersten Aktionen verbuchen. Der Schalker Anhang startet derweil mit „Hurra, hurra, die Schalker die sind da“ durch und wundert sich über HSV-Coach Steffen Baumgart, der im einsetzenden eiskalten Regen mit Kurzarmshirt an der Seitenlinie entlangtobt.

Katterbach sieht Geld für ein Foul an Murkin, Seguin „rächt“ seinen Freund kurz darauf mit einer herzhaften Grätsche gegen Katterbach und wird ebenfalls verwarnt (11.). In der heimischen Kurve flammen derweil immer wieder Bengalos auf und werden vom Sicherheitssprecher ermahnt.

Die erste Ecke geht an die Knappen, bringt jedoch nichts ein, der HSV wird zunehmend das aktivere Team und hat durch Elfadli, Mikelbrencis, Katterbach und Königsdörffer einige Offensivaktionen. Der Gästeblock singt sich derweil lautstark durch das einschlägige Liedgut von „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“ über „Schaalke, ich bin für Dich geboren“ bis zu „Eine Stadt erstrahlt in Blau“ und „Für Deine Farben“.

Zwei böse Patzer

In der 27. Minute kann Kaminski Muheim kurz vor dem Strafraum nur unsanft stoppen; es gibt einen Freistoß aus aussichtsreicher Position. Den Schalker Fans quittieren diese Entscheidung mit „Ihr seid nur ein *urensohnverein“, aber es kommt noch dicker: Heekeren steht falsch und lässt Richters Rechtsschuss komplett unnötig zum 1:0 im Torwarteck einschlagen.

Während sich die Schalkefans über den vermeidbaren Rückstand aufregen, setzt Schallenberg noch einen drauf und spielt im eigenen Strafraum völlig unbedrängt einen Querpass des Todes, den Königsdörffer vor dem überraschten Heekeren abfängt und zum 2:0 ins leere Tor einschiebt (30.).

Die Heimkurve feiert den überraschenden Doppelschlag erneut mit Pyro und gratuliert per Banner „30 Jahre Hermanns treue Riege – alles Gute!“, der Gästeblock hat erstmal die Pappe auf und stimmt wütend „Wir sind Schalker, keiner mag uns“ an: Tausend Trainer schon verschlissen, Spieler kommen, Spieler geh’n…

Folgt jetzt eine Klatsche?

Youngster Grüger verhindert in allerletzter Sekunde das 3:0 und rettet gegen Selke (34.), der bereits Kaminski und Heekeren hinter sich gelassen hatte. Trotz heftiger Bauchschmerzen, ob die Mannschaft jetzt auseinanderfällt, supporten die Schalker weiter mit „Auf geht‘s Schalke kämpfen und siegen“ und erleben bis zur Pause zumindest eine leichte Stabilisierung, der befürchtete weitre Gegentreffer bleibt aus. Die Nordkurve zeigt mit „Ruhe in Frieden Hetzel“ ebenfalls ihre Anteilnahme am Tod des verstorbenen Nürnberger Vorsängers, dann ertönt der Pausenpfiff.

Beherrschendes Pausenthema unter den Königsblauen sind natürlich die beiden kapitalen Stockfehler, „das darf nicht einmal in der Kreisliga passieren!“ ist der einhellige Tenor. „Hoffentlich redet van Wonderen zumindest in der Kabine Tacheles“ bringt ein  Schalker aus Herne die Bedenken vieler angesichts der Passivität des Cheftrainers nach dem Rückstand auf den Punkt.

Beide Mannschaften kommen personell unverändert wieder auf das Spielfeld, der HSV bekommt eine frühe Ecke, die Heekeren mit einer schönen Parade gegen Selke klärt (47.). Auch der zweite Unglücksrabe der ersten Halbzeit, Schallenberg, kann mit einem starken Block gegen Richter (50.) etwas Selbstvertrauen tanken.

Schalke beißt sich zurück ins Spiel

Zur großen Freude der Fans kämpft sich Schalke jetzt besser in die Partie, angefeuert mit „Königsblauer S 04“ und „Olé Blau-Weiß“: Sylla (52.), Bachmann (53.) und Younes (55) nähern sich zunehmend dem Kasten von Heuer Fernandes. Und die Arbeit wird belohnt: Grüger flankt von der rechten Seite in die Mitte, Schonlau bekommt den Ball nicht unter Kontrolle und liefert so eine unfreiwillige Vorlage für Younes, der alleine vor Heuer Fernandes zum 1:2 Anschlusstreffer vollenden kann (57.). JAAAAAAAAA!

Das Tor lässt die gefühlte Temperatur im Gästeblock sprunghaft ansteigen, mit frischem Mut geht es in eine Schalalala-Dauerschleife zwischen linker und rechter Hälfte. Der vermeintliche Ausgleich durch Sylla zählt leider wegen einer Abseitsstellung des Schalker Topscorers nicht (62.).

Baumgart will sich mit frischem Personal gegen das Erstarken der Schalker stemmen und ersetzt Mikelbrencis und Meffert durch Hefti und Perrin. Ein schöner Schuss von Murkin verfehlt den Hamburger Kasten nur knapp (67.), der Gästeanhang swingt jetzt zu „“Von der Elbe bis zur Isar, immer wieder S 04“.

Karaman mit dem hochverdienten Ausgleich

Einen der wenigen Hamburger Entlastungsangriffe in dieser Phase setzt Richter knapp neben das Tor (69.), kurz darauf wird er gegen Karabec ausgetauscht, Stange kommt für Königsdörffer.

Und dann fliegt das Bier tief: Seguin passt aus dem rechten Halbfeld in den Lauf von Bachmann, der ungehindert in der Mitte Karaman bedienen kann, der nicht lange fackelt und den ebenso umjubelten wie verdienten 2:2-Ausgleich erzielt (74.). So wird dem Kapitän sein 100. Zweitliga-Spiel wohl in guter Erinnerung bleiben, auch wenn er kurz darauf nach Vorlage von Bachmann das mögliche 2:3 liegenlässt.

Poreba sieht Gelb, auch van Wonderen wechselt nun erstmals und bringt Aydin für Sylla, Baumgart ersetzt Katterbach durch Dompé. Die Nordkurve stänkert ein wenig gegen die Verbindung der Schalker Ultras mit Salerno; diese lassen sich davon jedoch nicht provozieren und machen weiter im Text: „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“ und „Vorwärts FC Schalke, schieß ein Tor für uns“ bezeugen die Hoffnung, dass ein dritter Treffer fällt.

Ein wichtiger Punkt für die Moral

Der Stadionsprecher vermeldet 57.000 Zuschauer, das heißt „ausverkauft im besten Stadion, das es gibt“ und erntet nur Hohngelächter aus dem Gästeblock. Heekeren klärt noch einmal stark gegen Hefti (81.), Grüger sieht Gelb (83.) und Donkor ersetzt Seguin (84.). Beide Mannschaften agieren jetzt mit offenem Visier und wollen den Sieg.

Für Kopfschütteln sorgt Schalkes Torwarttrainer Loboué, der völlig unvermittelt einen Ball von draußen auf das Spielfeld schießt und dafür Rot sieht (86.). Sein Schützling Heekeren lässt sich von den Mätzchen zum Glück nicht beeinflussen und klärt gegen Hefti (87.). es gibt vier Minuten obendrauf, Kalas darf noch ein paar Sekunden für Grüger ran, doch es bleibt beim 2:2.

Mit dem verdienten Punkt klettert Schalke mit 13 Punkten aus 13 Spielen auf Rang 13, der HSV verpasst den Sprung auf Platz 3 und ist nun Siebter. Noch wichtiger als der Punkt in der Tabelle ist die in der zweiten Halbzeit gezeigte Moral, die hoffen lässt, dass die Mannschaft bald nichts mehr mit dem Abstiegskampf zu tun hat. Dementsprechend freundlich ist der Empfang vor der Kurve, mit einer solchen Energieleistung hatte in der Halbzeit kaum einer gerechnet. Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen – wenn jetzt noch die individuellen Aussetzer abgestellt oder zumindest verringert werden, kann das was werden…