90 Minuten unter Schalkern: „Für mich war es damals das schönste Stadion der Welt“
30. März 2023Kenner wissen: Wenn Jörg Seveneick einlädt, kommt man mit 90 Minuten längst nicht aus – aber es lohnt sich! Auch beim Talk zu „50 Jahren Parkstadion“ schwelgen rund 120 Schalker im proppevollen Medienzentrum über zweieinhalb Stunden lang mit Schalker Größen in Erinnerungen. Susanne Hein-Reipen berichtet…
Anpfiff ist wie immer punkt 19:04 Uhr, im Mittelpunkt steht die „Schüssel“, die 28 Jahre lang als Heimspielstätte des FC Schalke 04 diente und in dieser Zeit Triumphe und Tragödien, Tore und Tränen sah wie kaum ein anderes Stadion. Im August 1973 wurde das Parkstadion mit einem Freundschaftsspiel gegen Feyenoord Rotterdam eingeweiht.
Erwin Kremers: „Das Parkstadion war eine Katastrophe“
Erwin Kremers erzielte beim Heimsieg über Bochum das erste Bundesligator im Parkstadion, outet sich aber sofort als glühender Fan der Glückauf-Kampfbahn. Das Parkstadion hingegen „war eine Katastrophe: Bei 30 Grad brauchtest Du eine Jacke, so hat’s gezogen!“ Nur die sagenumwobene Rolltreppe hat er in guter Erinnerung behalten, denn Bernd Thiele wollte dort seinerzeit schon die ersten Gegner weggrätschen. Auch finanziell war das Parkstadion, dessen Bau 56 Millionen DM gekostet hatte, ein Segen, allein das Eröffnungsspiel spülte 580.000 DM in die immer schon klamme Schalker Kasse, Oskar Siebert dufte sich über einen pickepackevollen Tresor freuen.
Mit dem modernen Fußball – „heute ist es mehr ein Event, es interessiert keinen mehr, wie Du spielst, damals war nach einem schlechten Auswärtsspiel das nächste Heimspiel halb leer“ – hat es der Zwilling nicht so, aber „es ärgert mich immer noch, dass wir mit der Truppe nicht Meister geworden sind. Erwin Kremers war auch beim torreichsten Spiel in der regulären Spielzeit beteiligt, dem 5:5 gegen Bayern am 8. September 1973.
Olaf Thon: „Wir haben mal die Trikots in die Nordkurve geworfen – und die Fans haben sie zurückgeschmissen“
Olaf Thon ist in den königsblauen Geschichtsbüchern untrennbar mit dem torreichsten und wohl irrsten Spiel des Parkstadions verbunden, dem 6:6 im Pokal-Halbfinale gegen Bayern München, in dem er als gerade 18jähriger drei Treffer erzielte, die auch fast 40 Jahre später noch bejubelt werden. Am Vortag hatte er noch mit 120 Gästen in seinen 18. Geburtstag reingefeiert – mit Rudi Assauer am Zapfhahn, denn der Manager wollte persönlich sicherstellen, dass sein Jungstar nicht allzu spät nach Mitternacht ins Bett kam. „Das war das beste und verrückteste Einzelspiel meiner Karriere!“
Thon ist Kind und Fan des Parkstadions, für ihn „zu der Zeit das schönste Stadion der Welt“, doch auch er kann sich auch an triste Kicks vor kaum 10.000 Zuschauern erinnern. Einmal seien die in die Nordkurve geworfenen Trikots von den vom Auftritt enttäuschten Fans postwendend zurückgeschleudert worden. Der Arenabau und der Anstieg der Zuschauerzahlen sei deshalb immens wichtig und vor allem dem Mut Rudi Assauers zu verdanken gewesen. „Thöni“ glaubt übrigens noch an den Fußballgott, der als kleinen Boten schon mal Thomas Reis geschickt habe.
Michael „Magic“ Prus: „Auf Schalke werden nach wie vor Top-Talente ausgebildet“
Als Michael Prus die Bühne entert, glauben die Zuschauer kurz an eine Zeitreise, denn „Magic“ ist nicht nur optisch nahezu unverändert, er ist auch immer noch unglaublich bescheiden und sympathisch. Seinen Spitznamen, seinerzeit von Schalkefans beim Warmmachen geboren, empfindet er immer noch als liebevoll-ironisches Adelsprädikat: „Die Fans haben ein total gutes Gespür für Kampfkraft“.
Mittlerweile ist der gebürtige Rheiner seit vielen Jahren als U 16/U 17-Nationaltrainer beim DFB tätig, das Zusammensein mit „den Kleinen“ halte ihn jung. Alles gehe er aber nicht mit: Er habe kein twitter und keine Tattoos, aber „wenn mal tattoofrei in Mode ist, komme ich ganz groß raus“. Dann wird es seriös: Es gebe immer noch viele Talente in Deutschland, auch in der Knappenschmiede. Auch Keke Topp gehöre dazu, „ein echter Mittelstürmer“. Prus ist aber kein Fan von „schneller, höher, weiter“ im Jugendbereich; Spieler, die bereits mit 16 oder 17 Jahren in der Bundesliga spielen könnten, sollten als Ausnahme und nicht Regel gesehen werden. Vielen täte es gut, sich noch ein Weilchen in der zweiten Mannschaft zu entwickeln, man dürfe die Jungs nicht zu schnell abschreiben.
Sein Debüt für Schalke feierte „Magic“ mit einem siegreichen Heimderby, vor dem Trainer Rolf Schaftstall extra noch den Masseur vorbeischickte, um ihn zu beruhigen. Seine einzigen beiden Tore in 10 Jahren Schalke erzielte er übrigens binnen 32 Minuten in einem Pokalspiel gegen Saar 05 Saarbrücken – es wäre fast sogar noch ein Hattrick geworden, aber Andreas Müller schnappte sich den Elfmeter zum 3:0, obwohl das ganze Parkstadion Prus forderte. Der „Übeltäter“ entschuldigt sich herzlich per Videobotschaft, Prus lacht „ich hätte ihm den Ball wahrscheinlich zurückgegeben“.
Manni Breuckmann: „Ich habe nie so viel gelogen wie im Parkstadion“
Nach einer kurzen Pause geht es mit Manni Breuckmann, Thomas Spiegel und Thomas Kirschner weiter. Breuckmann hat seine Radiokarriere noch in der Glückauf-Kampfbahn begonnen („ich bin einer der letzten Lebenden, die das legendäre Schild „zu die Pressetische“ gesehen haben) und auch eher eine Hassliebe zum Parkstadion entwickelt. Er habe das Stadion immer nur als Reporter und nie als Fan erlebt, da er halbwegs neutral und nicht wie „das unsägliche BVB-Fanradio“ sein wollte.
Als Arbeitsplatz sei das Parkstadion mit den unters Dach geklatschten Sprecherkabinen nicht toll gewesen, das Geschehen an der gegenüberliegenden Eckfahne habe man oft mehr ahnen als sehen können und Monitore gab es noch nicht. „Ich habe nie so viel gelogen wie im Parkstadion. Manchmal musste man so oft begeistert „Tor, Tor, Tooor für Schalke“ schreien bis endlich der Torschütze auf der Anzeigentafel erschien…“. Die beste Sicht und das dank Rainer Calmund beste Essen habe man damals in Leverkusen gehabt.
„Für ein ganz normales Heimspiel gäb’s heute einen Brennpunkt nach der Tagesschau“
Jörg Seveneick erinnert sich, dass es bei Heimspielen teilweise krass zuging, wenn die gegnerischen Fans die Nordkurve stürmen wollten. „Ein normales Heimspiel der 80er im Parkstadion wäre heute ein Brennpunkt direkt nach der Tagesschau!“
Auch Thomas Spiegel erinnert sich lebhaft an einige Nahtoderfahrungen als einziger Schalker inkognito in einer Straßenbahn voller wütender RWE-Fans auf dem Weg zum Wiederholungsspiel. Die Nordkurve und ihre Gesänge und Rituale haben ihn bereits als Kind fasziniert.
Auch der heutige Chef-Fanbetreuer Thomas „Kirsche“ Kirschner hat die ersten Spiele im Parkstadion noch auf einer Bierkiste stehend verfolgt und erinnert sich lebhaft an den Weg über die Brücke in die flutlichtbeschienene Schüssel. „Wir konnten uns noch Samstagmorgens verabreden und mittags eine Stehplatzkarte für 3 DM holen“ – davon können junge Fans heute nur noch träumen.
„Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“
Im Parkstadion entstand der Kultfilm „Fußball ist unser Leben“, Papst Johannes Paul II. war zu Gast, auch Leichtathletik- und Musikevents von den Rolling Stones und Michael Jackson bis hin zu Marius Müller-Westernhagen und Wolfgang Petry gaben sich die Klinke in die Hand – und die Heimspiele auf dem Weg zum UEFA-Cup-Triumph 1997 brachten legendäre Fangesänge wie das heute europaweit kopierte „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ hervor. Unvergessen sind auch Catweazle, der mit seiner Trommel auf dem Wellenbrecher den Takt der Kurve vorgab und die am Mittelkreis inbrünstig betenden Fans.
Apropos Beten: Der eigentliche Grund, dass Schalke UEFA-Cup-Sieger wurde, ist, dass Manni Breuckmann eine Kerze im Mailänder Dom angezündet hat…
[…] Hommage an Matriciani. Für die Abteilung Fanbelange blickt Thomas Kirschner auf die gelungenen „90 Minuten unter Schalkern“ zum 50 Geburtstag des Parkstadions zurück und lädt alle Interessierten zur Jüdischen […]