Heidenheim – Schalke 1:0: Spätes Gegentor im Nebel beendet die Schalker Siegesserie
30. Oktober 2021Der FC Schalke 04 verliert nach dem Pokalduell bei den Löwen auch das Ligaspiel beim FC Heidenheim mit 0:1 (0:0). Den Gegentreffer in der 89. Minute hören die rund 4.000 unermüdlich supportenden königsblauen Fans mehr als sie ihn sehen… Susanne Hein-Reipen berichtet.
Wenn man klischeemäßig den Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Bundesliga illustrieren möchte, wäre die Voith-Arena in Heidenheim keine schlechte Wahl: Das „höchstgelegene Stadion im deutschen Profifußball“ (555 m über NN) ist eine 15.000 Zuschauer fassende Blechdose im Wald und versinkt zu allem Überfluss in einer dicken feuchtkalten Nebelwand.
Neuer Ground, neue Sitten
Die mehrheitlich bei strahlendem Sonnenschein im Ruhrpott gestarteten Auswärtsfans kann das nicht abschrecken, ebenso wenig wie die vielbeschmunzelten „Pyrohunde“ und der wohl kleinteiligste Sicherheitscheck aller Zeiten: Die Ordnerinnen schauen in Kamerataschen, Brillenetuis und Portemonnaies (!), als erwarten sie von den berüchtigten Gelsenkirchenern dort Flammenwerfer aus dem Miniaturwunderland. Vielleicht haben sie auch nach Aufklebern gesucht, obwohl ein Blick auf die Toiletten zeigt, dass diesbezüglich längst Hopfen und Malz verloren ist.
Die Verpflegung ist mit drei Sorten Würstchen bodenständig, aber lecker. Etwas irritierend ist allerdings, dass es im gesamten Bereich hinter den beiden Gästeblöcken nicht einen einzigen verd*mmten Mülleimer gibt. Nichts. Nada. Niente.
Im Stadion stellt sich dann schnell heraus, dass die Sicht aufgrund des Nebels mies, die Akustik jedoch prima ist – und die Schalker belegen nicht nur den offiziellen Gästebereich, sondern auch die angrenzenden Blöcke auf der Westtribüne und die Hälfte der Gegengeraden, das dürften ca. 4.000 der 15.000 Zuschauer sein: Ausverkauft!
Ohne Schalke wär‘ hier gar nix los…
Aus den Lautsprechern schallt „Meine Liebe Heidenheim“, der blaue Auswärtsmob hält auch ohne Ultras dagegen und schmettert sich mit Klassikern wie den asozialen Schalkern, „Hier regiert der S 04“, „Hurra, hurrra, die Schalker die sind da“ und „ohne Schalke wär hier gar nix los“ warm. Trotz der Pokalniederlage werden auch Fraisl und Fährmann und die Mannschaft beim Warmmachen mit herzlichem Applaus empfangen.
Von der heimischen Ostkurve ist wenig zu hören, dafür bölkt die blecherne Soundanlage „Unser Club heißt FC H und wir sind zum Siegen da!“. Reim Dich oder ich fress‘ Dich… Auf wenig Gegenliebe stößt auch der Hinweis, dass im Stadion trotz 3G-Kontrolle außer beim Essen oder Trinken die ganze Zeit ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden soll.
Schalke in Bestbesetzung
Dann wird die Aufstellung der Gäste verlesen. Nach der äußerst umstrittenen Rotation unter der Woche setzt Chefcoach Dimitrios Grammozis wieder auf die erste Elf: Fraisl, Thiaw, Itakura, Kaminski, Ranftl, Palsson, Ouwejan, Zalazar, Latza, Terodde und Bülter sollen da weitermachen, wo die Mannschaft beim 3:0-Sieg über Dresden aufgehört hat.
Gegenüber erscheint schemenhaft ein großes blau-rotes Banner „Osttribüne Heidenheim“, das jedoch bald vollständig im Nebel versinkt. Die Gästeblöcke performen munter „Schalke und der FCN“ und „Warum seid ihr H**** so leise?!“. Der Stadionsprecher fordert „Erhebt euch alle von euren Plätzen!“ und verliest die Aufstellung der Gastgeber, denen natürlich von Schalker Seite ein neuer gemeinsamer Nachname verliehen wird. Die akustische Rache folgt auf dem Fuße: „FC Heidenheim Du bist der beste Club der Welt“ trieft es aus den Lautsprechern.
Nur die Harten kommen in den Garten
Die Mannschaften kommen aufs Feld, lautstark begrüßt mit „FC Schalke 04 olé olé“ und den „Ruhrpottkanaken“. Die meisten Spieler setzen der feuchten Kälte langärmlige Trikots entgegen, Fraisl, Itakura und Palsson hingegen tragen ungerührt Kurzarm.
Schnell wird klar: Bis zur Mittellinie ist das Geschehen halbwegs zu erkennen, alles darüber hinaus ist reine Glückssache, wenn die Schwaden kurzfristig etwas weiter oben herumwabern. Das bedeutet, dass die Schalker Fans im ersten Durchgang nur erahnen können, was ihre Mannschaft offensiv zustande bringt…
Im Sichtfeld der ersten 45 Minuten liegen hingegen die Vorwärtsbemühungen der Gastgeber und die königsblaue Defensivabteilung. Fraisl greift sich bereits früh einen Pass von Leipertz, dann verlagert sich das Spiel hauptsächlich in den Nebel. Aus der Ostkurve schallt jedoch leider keine Enttäuschung über einen Schalker Treffer, sondern nur „Eff-Ceee-Haaa!“ herüber, sofort übertönt von „Vorwärts FC Schalke, schieß‘ ein Tor für uns“, „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und den asozialen Schalkern. Die Stimmung ist gut, allerdings klingen einige Lieder ohne koordinierten Support etwas kanonartig, da die verschiedenen Blöcke in unterschiedlichem Tempo unterwegs sind.
Torlos in die Pause
Nach einer guten Viertelstunde tauchen die Heidenheimer dann jedoch wieder vor Fraisl auf – und wie! Mohr setzt ein sattes Pfund an die Latte, von dort prallt der Ball auf die Linie und dann ins Feld zurück, bevor Itakura zur Ecke klären kann. Aus dieser Ecke werden direkt vier, die jedoch alle nicht ins Ziel finden. Schön zu sehen: Die Stimmung in der Mannschaft ist intakt, nach jeder gelungenen Aktion gibt es kurze anerkennende Gesten, ein aufmunterndes Abklatschen.
Das Spiel wird nun insgesamt deutlich lebhafter und geht hin und her, wobei nach wie vor alles jenseits der Mittellinie nur erahnt werden kann. Mitten hinein in einen lautstarken SCHALKE! – NULLVIER! – Wechselgesang platzt jedoch ein hörbares erleichtertes Aufstöhnen der Heimkurve, das sich beim hektischen Nachlesen im Ticker als gute Chance von Zalazar mit folgender Glanzparade von Müller entpuppt.
Dass das Spiel jetzt aus königsblauer Sicht eher unsichtbar ist, werten wir einfach mal als gutes Zeichen, dass unsere Jungs vorne unterwegs sind und stimmen „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n“, „Stadion geh’n, im Pappbecher Bier“ und „Kohle unter unsern Füßen“ an. Gelegentlich aus dem Nebel auftauchende Heidenheimer Eckbälle und ein Vorstoß von Kleindienst stören dabei nicht, dann geht es torlos in die Kabinen.
Was bringt die zweite Halbzeit?
Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und so herrscht in der Pause noch weitestgehend Optimismuss, dass wir mehr vom Spiel sehen und ein Tor vor unserer Nase bejubeln dürfen.
Beide Mannschaften kommen personell unverändert wieder auf das Feld, der zuvor für uns unsichtbare Keeper Müller entpuppt sich als ausgerechnet schwarzgelb angezogen – doch die ersten Aktionen finden nun bei Fraisl im Nebel des Grauens statt. Die Gästeblöcke schicken daher mal auf Verdacht „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und einen Mythos vom Schalker Markt in die graue Suppe.
Und tatsächlich, Bülter und Ouwejan tauchen vor Müller auf, bringen den Ball aber nicht entscheidend aufs Tor. Dann verschwinden die Spieler wieder und ein enttäuschtes Aufstöhnen der Ostkurve lässt erahnen, dass die Gastgeber eine dicke Chance versiebt haben: Fraisl hat blitzschnell einen Schuss von Thomalla noch aus dem Eck um den Pfosten gedreht.
Mohr sieht wegen beharrlichen Zerrens an Zalazars Trikot die erste gelbe Karte des Spiels, was sofort „Ihr seid Schei**e wie der BVB“ nach sich zieht. „Eine Stadt erstrahlt in Blau“ und einen weiteren Aufguss der Ruhrpottkanaken gibt’s gratis hinterher – und, oh Wunder: Von gegenüber ist tatsächlich „Heidenheim kämpfen und siegen“ zu hören.
K. O. in der 89. Minute
Nach fast zwanzig Minuten dann endlich der erste Schalker Abschluss, aber hinter Ouwejans Schuss von der Strafraumgrenze ist nicht genug Druck, kein Problem für Müller (63.). Auch Torjäger Terodde kommt wenig später nicht durch. Auf der Gegenseite rettet Palsson einen Kopfball von Mohr ins Toraus.
Beim FC Heidenheim kommen Sessa und Pick, früher in der Knappenschmiede, für Busch und Leipertz, Grammozis verzichtet noch auf Wechsel, obwohl den Spielern das Pokalspiel in den Knochen steckt und Bülter und Ouwejan längst nicht so spritzig wirken wie sonst.
Schalke hat trotzdem in dieser Phase wieder etwas besseren Zugriff auf das Spiel. Terodde schießt Mainka an, der folgende Eckball wird von Müller weggefaustet, ein weiterer Kopfball von Terodde verfehlt den langen Pfosten (74.), Müller fängt eine Flanke von Ouwejan ab. Kapitän Latza, nach seiner langen Pause noch nicht wieder in Bestform, tritt Theuerkauf herzhaft auf den Fuß und sieht gelb und wird kurz darauf gegen Idrizi ausgetauscht.
Die Schalker stimmen „Wir schlugen Roda…“ und „Schalke ist die Macht“ an, Kleindienst sieht Gelb, es riecht schwer nach einem 0:0. Dann aber frenetisches Geschrei auf der Gegenseite: Hüsing köpft einen Freistoß von Mohr unhaltbar für Fraisl ins obere linke Eck (89.). Heidenheim führt 1:0, der Stadionsprecher eskaliert, im Gästeblock herrscht Frust pur.
Die Mannschaft hat noch Kredit
In der dreiminütigen Nachspielzeit kommen noch Pieringer für Ranftl und Schöppner für Mohr, Geipl sieht gelb. Die allerletzte Aktion ist ein Kopfball von Terodde, doch dieser landet auf statt im Tornetz, dann ertönt der Abpfiff.
Die Heidenheimer sind begeistert, den Schalker Spielern ist die Enttäuschung nach zuletzt vier Zu-Null-Siegen in Folge deutlich anzusehen, Fraisl ärgert sich offenbar heftig über sein erstes Gegentor. Als die Mannschaft vor die Kurve schleicht, gibt es jedoch keine Unmutsbekundungen, sondern aufmunternden Applaus. Auch beim Heimweg durch die nebligen Wälder der schwäbischen Alb entzündet sich ein Großteil der Kritik vornehmlich an Trainer Grammozis.
Tabellarisch ist hingegen nichts Schlimmes passiert; durch die zeitgleiche Niederlage des 1. FC Nürnbergs bleibt Schalke auf Rang 3 und kann beim folgenden Heimspiel gegen Darmstadt wieder in die Erfolgsspur zurückkehren.