Schalke weiter im freien Fall: 1:4 gegen den VfL Wolfsburg
20. Juni 2020„Wir können noch schlechter“ – an diesen geflügelten Spruch von Fabian Ernst fühlten sich viele Schalker beim Betrachten der Partie gegen den VfL Wolfsburg erinnert. Die streckenweise kämpferischen Ansätze der beiden vorangegangenen Partien sind wie weggewischt, Schalke wirkt ängstlich, planlos und lethargisch. Susanne Hein-Reipen leidet mit ihrem Verein…
Letztes Heimspiel der Saison, das bedeutet normalerweise – nahezu unabhängig vom Saisonverlauf – Party pur. Auf den Parkplätzen qualmen Grills, Fanclubs rollen mit Planwagen und stattlichem Pegel auf P 7 vor, auf der Schalker Meile und an der Destille fließt das Bier in Strömen. Auch nach dem Spiel würde überall gefeiert. Doch in Corona-Zeiten ist (fast) nichts normal und so liegt die Arena verwaist unter einem knallblauen Ruhrpotthimmel.
Bereits am Vormittag machen die Schalker Spieler einen Spaziergang rund um das „Quarantänehotel“, um kurz nach 14 Uhr huschen sie über die Charly-Neumann-Brücke hinüber zur Arena. Die Körpersprache ist, nach nunmehr 14 Spielen ohne Sieg wenig verwunderlich, eher verhalten.
Wenig überraschende Aufstellung
Die Startelf im immer noch stark durch Verletzungen dezimierten Kader stellen Nübel, McKennie, Miranda, Kabak, Gregoritsch, Matondo, Caligiuri, Kenny, Oczipka, Schöpf und Mercan, bis auf Mercan keine Überraschung. Schaffen es diese Spieler, die „Horror-Serie“ zu durchbrechen?
Ersatzkapitän ist wieder Daniel Caligiuri, der seine Gelbsperre und die Oberschenkelbeschwerden aus dem Spiel gegen Leverkusen überwunden hat. Benjamin Stambouli führt mit „Asozialer Schalker“-Basecap die Riege der Ersatzspieler an.
Das Spiel beginnt mit dem üblichen Abtasten, Matondo wagt den ersten Vorstoß, läuft sich aber im Wolfsburger Strafraum fest. Auf der Gegenseite steht Ginczek nach Vorarbeit von Brekalo plötzlich frei vor Nübel, setzt die Kugel aber über die Querlatte. Puh!
Und schon wieder ein früher Rückstand
Wolfsburg wirkt zunehmend dynamischer als Schalke und kommt durch Mbabu und Brekalo zu weiteren Torschüssen, Steffen sieht die erste gelbe Karte der Partie. Und in der 16. Minute ist es soweit: Ballverlust McKennie, die Schalker Abwehr kloppt die folgende Hereingabe von Brekalo nicht weit genug aus der Gefahrenzone, der Ball kommt über Ginczek zu Weghorst, der Miranda und Nübel überwindet und zum 0:1 einschiebt. Schon wieder ein früher Rückstand für Schalke…
Schalke hat zwar etwas mehr Ballbesitz als in den vorangegangenen Partien, findet aber offensiv quasi nicht statt. Oczipka erhält wegen Foulspiels gegen Ginczek Gelb, Gregoritsch folgt wegen eines herzhaften Remplers gegen Arnold, kurze Zeit später auch Kenny, ebenfalls gegen Arnold – da es seine fünfte ist, muss er beim letzten Spiel gegen Freiburg zuschauen. Ob er überhaupt noch einmal für Königsblau aufläuft…?
Bis zum Pausenpfiff passiert nicht mehr viel, außer Kabak, McKennie und Matondo hat kaum ein Schalker Normalform. Die einzige Schalker Ecke wird von Caligiuri herangebracht und von McKennie aufs Tor gesetzt, aber Casteels ist auf dem Posten. Der 0:1-Rückstand zur Pause ist völlig verdient, das war selbst für Schalker Rückrundenverhältnisse eine jämmerliche Vorstellung. Was wohl eine vollbesetzte Nordkurve dazu sagen würde…?
Doppelschlag ohne nennenswerte Gegenwehr
„Wir woll’n euch kämpfen seh’n!“ stände vermutlich ziemlich hoch im Kurs. David Wagner hat offensichtlich auch Handlungsbedarf erkannt, denn er tauscht Mercan und Kenny gegen Raman und Becker. Die nächste Chance haben trotzdem wieder die Wölfe durch Brekalo, Nübel pariert.
Timo Becker marschiert die rechte Seite entlang, leider verpasst Gregoritsch seine Flanke. Anschließend startet Mckennie ein sehenswertes Solo und passt zu Miranda, der wiederum an Caligiuri weiterleitet, doch dessen Schuss ist kein Problem für Casteels.
Und dann wird es bitter: Gerade in diesen Hauch von Schalker Besserung hinein platzt ein Wolfsburger Konter von Steffen und Weghorst, den der Niederländer mit seinem zweiten Treffer zum 0:2 ins lange Eck abschließt (56.). Und nur drei Zeigerumdrehungen später erhöht Mbabu unter freundlichem Zusehen der Schalker Abwehr auf 0:3. Vorausgegangen waren ein kurzer Freistoß von Arnold und ein Abpraller von Gincek. David Wagner dreht sich frustriert weg, Jochen Schneider auf der Tribüne schaut maximal angefressen aus der Wäsche, in den sozialen Netzwerken gibt’s Hohn und Spott gleich kübelweise. Könnte diese verfluchte Rückrunde bitte jetzt zu Ende sein?!
Nübel-Patzer und Ehrentreffer
Doch das Spiel läuft weiter. Matondo kommt im Zweikampf mit Mbabu zu Fall und fordert Elfmeter, doch Schiedsrichter Stegemann befindet auf Ecke. Becker kommt zum Schuss, trifft aber nur ein Wolfsburger Bein. David Wagner ersetzt den vollkommen wirkungslosen Gregoritsch durch Kutucu und Miranda durch Thiaw, bei Wolfsburg kommt Joao Victor für Steffen – und der verwertet drei Minuten später eine Steilvorlage von Nübel, der ihm den Ball nach einer Ecke genau vor die Füße boxt, zum 0:4 (70.).
Im Gegenzug rennt Matondo allen davon und verlädt Casteels zum 1:4 (71.). Danach verlegt sich Wolfsburg auf das Verwalten der komfortablen Führung, garniert mit taktischen Wechseln und kleineren Fouls (gelbe Karten für Mbabu und Roussilöon). Schalke bemüht sich um Schadensbegrenzung, bringt aber außer einem Distanzschuss von Caligiuri auch nichts mehr zustande. Nach dem Schlusspfiff sinken mehrere Schalker Spieler frustriert auf den Rasen.
Eine Rückrunde des Grauens
Die sieglose Serie ist damit auf 15 Spiele angewachsen, Schalke mit Platz 11 weiter auf dem Weg nach unten. Bloß gut, dass nur noch ein Spieltag zu spielen ist, sonst bekämen die Abstiegskandidaten wohl noch Konkurrenz.
Unabhängig davon, wie die letzte Partie in Freiburg verläuft, dürfen alle Schalker auf die angekündigte öffentliche Saisonanalyse von Jochen Schneider und David Wagner gespannt sein – wie kann eine Mannschaft, die bis zum 18. Spieltag mehr als respektabel unterwegs war, so einbrechen? Und, noch viel wichtiger: Wie soll verhindert werden, dass die nächste Saison genauso schlimm verläuft, womöglich noch ohne das rettende Polster der Hinrunde?