Schalke: Lohnt es sich, für David Wagner den Teufelskreis zu durchbrechen?
6. Juni 2020Cheftrainer David Wagner steht auf Schalke wegen der erschreckenden Negativserie mit 11 sieglosen Spielen heftig in der Kritik, doch Sportvorstand Jochen Schneider stellt sich demonstrativ hinter ihn. Ist das der richtige Weg? Ein Kommentar von Susanne Hein-Reipen.
Tausend Trainer schon verschlissen…
„Die üblichen Mechanismen“ im Fußball sehen so aus, dass über kurz oder lang der Trainer rausgeworfen wird, wenn es in der Mannschaft nicht läuft. Bei kaum einem anderen Profiverein in Deutschland war die Zündschnur dabei in den vergangenen 20 Jahren so kurz wie beim FC Schalke 04: Seit der Ära „Huub Stevens I“ 2002 wechselten die Königsblauen nicht weniger als 22mal (!) den Übungsleiter. Etliche Coaches erlebten nicht einmal ihr Einjähriges auf dem Berger Feld, einzig und allein Mirko Slomka schaffte es länger als zwei Jahre.
Einen solchen Verschleiß hatten sonst nur noch die in die zweite Bundesliga abgestiegenen HSV und der VfB Stuttgart (beide ebenfalls 22 Trainerwechsel), andere gemeinhin als Schleudersitze geltende Vereine wie der 1. FC. Köln (21) oder Hertha (20) folgen. Zum Vergleich: Der BVB hatte im fraglichen Zeitraum mit 9 Cheftrainern nicht einmal die Hälfte.
Ein Teufelskreis
Das Muster ist dabei immer ähnlich: Unzufriedenheit mit den Leistungen – Vereinsführung stellt sich hinter den Trainer – Leistungen bleiben dürftig – Trainer fliegt, begleitet von Phrasen wie „er erreichte die Mannschaft nicht mehr“ oder „wir mussten die Reißleine ziehen“ – neuer Trainer kommt – Aufbruchstimmung und erste Erfolge – hohe Erwartungen – Rückschläge – Unzufriedenheit undsoweiterundsofort. Geduld? Fehlanzeige.
Auf Schalke kommt noch erschwerend hinzu, dass der Verein nicht einmal den Ansatz eines übergeordneten Konzepts oder einer Spielphilosophie hat, sondern von jedem neuen Trainer – selbst wenn dieser so unerfahren ist wie Domenico Tedesco – erwartet, das Rad neu zu erfinden. Mit Spielern, deren Fähigkeiten teilweise nullkommanull zu der favorisierten Taktik passen. Sobald jedoch angesichts laufender Verträge ein vorsichtiger Kaderumbruch eingeleitet wurde, ist der Trainer schon Geschichte und der Nachfolger, der ein völliges anderes System spielen lassen möchte, ärgert sich über die vorhandenen Spieler.
Der Umbruch nach dem Umbruch und dem Umbruch
Die Schalkefans können die Aussage „wir befinden uns in einer Umbruchsaison“ nicht mehr hören, sondern sehnen sich nach Kontinuität – aber leider nach dem Motto „Herr, gib‘ mir Geduld, aber zackig!“ Wenn bei jeder Durststrecke eimerweise Gülle über dem jeweiligen Trainer ausgekübelt und beschrien wird, dass es jeder, aber auch wirklich jeder andere besser machen würde, ist das keine gute Voraussetzung. Jedes noch so aberwitzige Gerücht, dass etwa Raúl ein Trainerkandidat auf Schalke sei, wird begierig aufgesogen.
Leider hatten auch die Manager und Sportvorstände nach Rudi Assauer nicht mehr nicht mehr die Geduld oder das Standing, mit einem Trainer durch eine Talsohle zu gehen und lang- oder zumindest mittelfristig zu denken. Stattdessen wurde zur Rettung der eigenen Haut zu oft kurzfristig auf einen neuen Trainer gesetzt, ohne strukturelle Probleme zu beseitigen. Rudi Assauer hielt unverbrüchlich zu Huub Stevens, obwohl die Leistungen in der Liga 1998 und 1999 teilweise arg zu wünschen übrigließen. Mit einem solchen Rückhalt eines starken Sportvorstands, der notfalls auch Stinkstiefel in der Mannschaft zusammenfaltet oder rauswirft, hätten auch Trainer wie Keller, Breitenreiter oder Tedesco deutlich bessere Überlebenschancen gehabt. Heldt oder gar Heidel, der sich schnell verpi**te, als es ungemütlich wurde, hatten dazu nicht das nötige Format.
Eier, wir brauchen Eier
Zu allem Überdruss verhindern die ständigen Trainerwechsel nicht nur den Aufbau einer homogenen, zur Spielweise passenden Mannschaft, sie kosten auch noch einen Haufen Geld, da Schalke trotz der Erfahrungswerte der Vergangenheit dazu neigt, die Trainerteams mit langfristigen Verträgen auszustatten, so dass die Übungsleiter noch jahrelang den Etat belasten, wenn schon ihre Nachfolger und Nach-Nachfolger auf der Payroll stehen. Geld, das Schalke sehr viel besser für die Verpflichtung von Spielern wie Jonjoe Kenny oder Jean-Clair Todibo hätte gebrauchen können.
Es wäre daher grundsätzlich absolut wünschenswert, wenn die Knappen es endlich einmal schaffen würden, nicht wieder alles über den Haufen zu werfen und bei Null anzufangen, sondern gemeinsam mit dem Trainer durch die Krise und gestärkt daraus hervorzugehen.
Ist Wagner der Richtige?
Die Frage bleibt allerdings, ob ausgerechnet David Wagner der Richtige ist, ihm das uneingeschränkte Vertrauen auszusprechen und die Widrigkeiten mit ihm gemeinsam zu bewältigen. Für ihn spricht die gute Hinrunde, das derzeitige Bild macht allerdings wenig Hoffnung auf durchgreifende Besserung. Wagner wirkt mutlos und resigniert und trifft teilweise unverständlich anmutende Entscheidungen. Mauertaktik selbst gegen Abstiegskandidaten und Aussagen wie „wir sind in der derzeitigen Situation zu nichts anderem in der Lage“ stoßen den Fans sauer auf, das Torhüter-Hick-Hack mit nunmehr vier Wechseln ebenso.
Jochen Schneider ließ sich dazu wie folgt ein: „Vor drei Monaten wurde seine Arbeit von allen gelobt und zwar vollkommen zu Recht. Seitdem ist David kein anderer Trainer geworden. (…) Die guten Klubs zeichnen sich aus, Ruhe zu bewahren, auch wenn es sportlich mal eine Delle gibt. Das gehört zum Fußball dazu.“
Es wäre Schalke, Schneider und Wagner zu wünschen, dass die Rechnung aufgeht. Dazu muss Wagner aber deutlich mehr Mut zeigen und die Mannschaft, die zu großen Teilen bereits den akribischen Arbeiter Tedesco jämmerlich hängen ließ, endlich unmissverständlich in die Pflicht nehmen, notfalls gemeinsam mit Schneider und Aufsichtsrat Huub Stevens. Solange die Herren Stars folgenlos in Königsblau über den Rasen schlendern dürfen, weil es nicht sie, sondern den Trainer trifft, wird Schalke nicht mehr nach oben kommen.