Nordkurven-Rückblick April – Juni 2019: Choreos, Pleiten und ein geiler Derbysieg
30. Dezember 2019Auch im zweiten Quartal 2019 ist auf Schalke eine Menge los: Der ebenso unerwartete wie verdiente Derbysieg rettet eine gruslige Saison und beschert den Schalkern den Klassenerhalt. Und die Nachbarn…? Wenn Du mich fragst, wer Meister wird, dann sage ich zu Dir, Borussia wird’s heut‘ nicht mehr und schuld daran sind wir!
Teil 1 Januar – März: Torwartwechsel, Abschied von Rudi Assauer und Rauswurf von Domenico Tedesco
Das erste Spiel im April ist das Pokal-Viertelfinale gegen Werder Bremen. Die Schalker Nordkurve bringt zum Anpfiff die zurückliegende Woche mit dem Rücktritt von DFB-Präsident Grindel und der 27.000 €-Strafe für die Rauchtöpfe in der Derby-Choreographie mit einem Banner auf den Punkt: „VEREINE SANKTIONIEREN, PERSÖNLICH PROFITIEREN: FUSSBALLMAFIA DFB!“ trifft die Meinung vieler Fans. Auf dem Spielfeld ist die Partie zunächst umkämpft und ausgeglichen, aber Schalke verwertet die Chancen der ersten Halbzeit nicht. Im zweiten Durchgang knallt Oczipka den Ball noch an die Latte, dann führen zwei dicke individuelle Fehler von ihm und Konoplyanka zu einem 0:2 für Werder. Schalke verabschiedet sich aus dem Pokal, die tief enttäuschte Nordkurve schweigt die Mannschaft an.
Metzelder nein danke!
Die Diskussionen in dieser Woche kreisen auch um Christoph Metzelder als möglichen Kandidaten für den Posten des Sportdirektors auf Schalke. Beim Heimspiel gegen Frankfurt geht in der Nordkurve ein großes blaues Banner hoch: „VORSTAND: IDENTITÄT ZÄHLT BEI UNSEREM VEREIN, METZE IST EIN ZECKENSCHWEIN!“ – zumindest die Ultras Gelsenkirchen haben die T-Shirt-Aktion von Christoph Metzelder weder vergessen noch verziehen. Auf den anderen Tribünen stößt die Aussage auf sehr gemischte Reaktionen, hat Metzelder doch bereits zu seiner aktiven Zeit auf Schalke stark polarisiert. Das Spiel ist packend und zeigt eine klare Schalker Leistungssteigerung, aber in der Nachspielzeit schlägt der VAR noch einmal zu: Zunächst gibt es Gelb-Rot für Serdar, der Kostic am Fuß trifft – und im Getümmel nach dem folgenden Freistoß reklamieren die Frankfurter lautstark ein Handspiel von Caligiuri, der den Ball an die Schulter bekommen hat. Es läuft die 95. Minute, eigentlich müsste das Spiel bereits abgepfiffen sein, aber Schiedsrichter Stegemann studiert minutenlang die Videobilder und befindet in der 98. Minute auf Elfmeter. Die Arena tobt, viele Schalker haben vor Wut Schaum vor’m Mund, aber Jovic verwandelt den Elfmeter in der 99. (!) Minute platziert zum 1:2. Doch das Gefühl, massiv benachteiligt worden zu sein, löst zumindest bei den Fans eine Trotzreaktion aus: Jetzt erst recht! Und so wird die niedergeschlagene Mannschaft lautstark abgefeiert, als sie in die Kurve schleicht. Ein klares Zeichen: Wer so kämpft, kann sich der Unterstützung und Zuneigung der Kurve auch sicher sein, wenn es schiefgeht! Stambouli ist so gerührt, dass ihm die Tränen kommen.
Schaaaalke und der FCN!
Die nächste Fahrt führt nach Nürnberg zu den Fanfreunden vom Club. Trotz der für beide Vereine tabellarisch prekären Lage wird die Fanfreundschaft innig gefeiert. Der Freundschafts-Seidenschal, der auf einer Seite „Schalke und der FCN wird es für alle Zeiten geben“ und auf der anderen ein Bild der „Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“-Choreographie einer früheren Begegnung zeigt, geht weg wie geschnitten Brot. Auch die große Choreo ist gänsehautträchtig: Die Nürnberger Kurve wird durch lange Stoffbahnen und tausende Luftballons in blau-weiß, die Gästekurve in rot-schwarz getauscht. Ergänzt wird das Ganze durch den großen Schriftzug „ROT-SCHWARZ BLAU-WEISS BIS IN DIE EWIGKEIT“ im Oberrang, dazu präsentiert jede Kurve Vereinslogo und Ultra-Wappen des anderen Freundes. Und so gerüstet werden gemeinsam „Blau und Weiß, wie lieb ich Dich!“ und „Die Legende lebt“ geschmettert. Einfach. Nur. Schön! Überhaupt nicht schön, sondern ein fürchterliches Gewürge ist das Spiel, das durch zwei späte Tore und etliche Glanztaten von Nübel mit 1:1 endet, vor allem für die Gastgeber zu wenig. Den Schalker Spielern schlagen in der Kurve Pfiffe und lautstarke „Außer Nübel könnt Ihr alle geh’n!“-Rufe entgegen. Das ist gegenüber Spielern wie Stambouli oder Boujellab nicht fair, aber die Enttäuschung über eine weitere spielerische Riesenenttäuschung sitzt tief.
Schlimmer geht bekanntlich immer: Am nächsten Wochenende setzt es eine auch in dieser Höhe verdiente 2:5-Heimniederlage gegen die TSG Hoffenheim. Zur ungewohnten Anstoßzeit am Samstag um 20.30 Uhr erfleht Mike Büskens vor dem Spiel auf dem Würfel die Unterstützung der Fans – und die Nordkurve versucht alles, um die Mannschaft nach vorne zu schreien. Doch die Spieler sind verunsichert bis auf die Knochen, nach dem 0:1 für die TSG bricht die Mannschaft auseinander, jeder Schuss ist jetzt ein Gegentreffer. Auch Nübel, der in der Woche zuvor mit Bayern in Verbindung gebracht wurde, hat einen schwarzen Tag erwischt. Beim Gang in die Kurve muss Kapitän Fährmann vorangehen, die bange Frage lautet: Was passiert im Derby…?
Eine Kurve im Glücksrausch
Die Frage beantwortet sich am kommenden Samstag in der Wellblechhütte in Lüdenscheid-Nord: DER WAHNSINN!!! Zunächst gibt es die üblichen gegenseitigen Beschimpfungen; zum Einmarsch der Mannschaften erscheint im Schalker Block unten ein Banner „Eine Stadt erstrahlt in Blau“, dann raucht sie blau: Zahlreiche Rauchtöpfe verdichten sich zu einer blauen Wand, die minutenlang alles einnebelt. Auf dem Platz geht Schwatzgelb durch Götze bereits in der 14. Minute in Führung, doch die Befürchtungen, dass jetzt das Scheibenschießen losgeht, bewahrheiten sich nicht. Bereits drei Minuten später vollstreckt Caligiuri einen Foulelfmeter zum Ausgleich; in der Südkurve taucht unterdessen ein Banner mit „Schalke“ und „Schwuchteln“ auf, „Tod und Hass dem BVB“ tönt zurück. Übel allerdings: Vorne im Stehblock zeigen einige Schalker ein Plakat „Immer noch eine gute Idee: Freiheit für Sergej W.“. Mit diesen Solidaritätsbekunden für den versuchten Bus-Attentäter ist auch für die allermeisten Schalker trotz aller Derby-Rivalität die rote Linie überschritten.
In der 28. Minute geht Schalke durch einen Sané-Kopfball in Führung, wie geil ist das bitte?! Dann leistet sich ausgerechnet BVB-Kapitän Marco Reus einen fiesen Aussetzer: Von hinten grätscht er den ballführenden Serdar brutal um und darf mit glatt Rot duschen gehen. Und den fälligen Freistoß verwandelt Caligiuri mit einem absoluten Traumschuss in den linken Winkel zum 1:3 (62.). Ektase im Gästeblock! Und es geht Schlag auf Schlag weiter: Drei Minuten später will Wolf es seinem Kapitän nachmachen, wieder Blutgrätsche von hinten, wieder Serdar, wieder glatt-rot. Der Gästeblock höhnt „Gegen Schalke kann man mal verlier’n“ und „Warum seid Ihr Huren so leise?“, gefolgt von „Hier regiert der S 04!“ Und als wäre das noch nicht genug, wird der verstummte BVB-Anhang auch noch mit „Wer wird deutscher Meister, BVB Borussia -NICHT!?“ verhöhnt. Ganz Findige texten derweil die „10 kleinen Negerlein“ um: 11 kleine Dortmunder, die wollten feiern geh’n, doch Reus rutschte von hinten rein, da war’n es nur noch 10. 10 kleine Dortmunder wollten die Fans erfreu’n, doch Wolf machte es Marco nach, da war’n es nur noch 9…
Doch Lüdenscheid zuckt noch, Witsel nutzt einen Volleyschuss zum 2:3. Dickel schreit wie ein Pornodarsteller „wir schaffen das noch!“, doch zwei Minuten später macht Embolo mit dem 2:4 den Deckel drauf und verschafft dem Gästeblock einen königsblauen Höhepunkt. Aaaaah, ja, Nobby, WIR schaffen das… ja, ja, jaaaa!!! Wer nicht hüpft, der ist Borusse! Derbysieger, Derbysieger, hey, hey…Die Mannschaft rennt händchenhaltend auf die Kurve zu, die „Gegen Schalke kann man mal verlieren“ skandiert und Huub Stevens abfeiert. Alle titschen ausgelassen durcheinander, niemand hat Bock auf „warum nicht öfter so“, heute darf gefeiert werden! Auf dem Rückweg hält die Mannschaft bei Bosch an und tanzt gemeinsam mit den verdutzten Fans über Tische und Bänke.