Schalke macht das Spiel, Hoffenheim die Tore – und die Fans sind schon im Derbyfieber
21. Oktober 2019Über 70 Minuten sieht die TSG Hoffenheim gegen Schalke 04 keine Schnitte, doch Schalke nutzt keine der zahlreichen Torchancen. Dementsprechend groß ist der Frust bei den Spielern und den über 5.000 mitgereisten Schalkefans, als Hoffenheim durch zwei späte Tore den Spielverlauf auf den Kopf stellt. Schneller wurde jedoch noch nie eine Niederlage verdaut, denn die Kurve schaltet sofort in den Derbymodus… Susanne Hein-Reipen mit allen Einzelheiten eines blutdrucktreibenden Abends.
Beim Start an Ruhr und Rhein zeigt sich Petrus von seiner unfreundlichsten Seite, doch bei der Ankunft im Kraichgau ist der Himmel blau und weiß und die Temperatur ausgesprochen angenehm. Auswärtsfahrer wissen: Das Freundlichste, was man über die auf die grüne Wiese geworfene Prezero-Arena, formerly known as Wirsol- und Rhein-Neckar-Arena sagen kann, ist, dass sie hervorragend von der A 6 aus zu erreichen ist. Ansonsten verfügt sie über das Flair eines Einwohnermeldeamtes und bietet nix, wo sich Fans gemütlich auf das Spiel einstimmen könnten.
Was sagt der BigPoints-Fluch?
Abhilfe schaffen nach der Anfahrt des Gästeparkplatzes am Technikmuseum („20 Euro mit Punkten, 5 ohne“ – vielleicht hätten wir doch die 20 bezahlen sollen…?) die Sportfreunde Kurpfalz: Die vor allem internationalen Auswärtsfahrern bekannte Truppe sorgt mit Bier und Feuerwurst im angrenzenden Gewerbegebiet für eine königsblaue Anlaufstelle. Die Stimmung ist prima, die Prophezeiungen jedoch verhalten, Steilvorlagen können wir ja nicht so… Hinzu kommt, dass bekannt wird, dass sowohl Suat Serdar als auch Weston McKennie und damit beide etatmäßigen Achter ausfallen.
Die Schalker Gemeinde rätselt zudem über Sinn und Unsinn der Forderung, seinen Namen in ein eigens dafür vorgesehenes Feld auf den Tickets einzutragen. Wenn der Eintrag noch am Stadiontor nachgeholt werden kann, ist es mit einer Personalisierung oder der Erschwerung des Tickethandels nicht weit her, außerdem gelangen auch Lucky Luke und Ernst Kuzorra unbehelligt in den Block.
Der Elchtest
Zahlreiche Aufkleber und Graffiti pflastern Weg und Autobahnunterführung zum Stadion. Für Erheiterung sorgen Sticker mit dem Slogan „Hoffe ist der geilste Club der Welt“, ist er doch ebenso bei Schalke abgekupfert wie „Blau und Weiß ein Leben lang“ und „Steht auf, wenn Ihr für Hoffe seid“. Mit Kreativität haben sie es offenbar im Kraichgau nicht so.
Die Einlasskontrollen sind gründlich, aber fair; das Hoffenheimer Publikum überlässt zunächst fast vollständig dem königsblauen Anhang das Feld, so dass Nübel und Schubert deutlich lauter begrüßt werden als die komplette Heimmannschaft. Der Stadionsprecher versucht gegenzusteuern und bölkt betont laut und gutgelaunt ins Mikrophon. Getreu dem Hoffenheimer Slogan „ein Team, ein Weg, einmalig“ kündigt er das „tollste Maskottchen der Bundesliga, unseren einzigartigen Hoffi“ an. Das Heimpublikum fällt jedoch glatt durch den Elchtest, denn es nimmt den euphorisch winkenden Geweihträger schlicht nicht zur Kenntnis, während die Schalker überlegen, ob im Bio-Unterricht jemals von Elchen im Kraichgau die Rede war.
Das Netz ist Provinz pur
Bereits in der nur zu einem Viertel gefüllten Arena ist der Empfang schlecht, später bricht er so vollständig und nachhaltig zusammen, dass die Schalkefans geneigt sind, an einen Störsender hinter dem Gästeblock zu glauben. Oder ist das einfach Provinz hier…?
Beim Gedenken an eine kürzlich viel zu jung verstorbene TSG-Anhängerin namens Steffi klatschen auch die Schalker respektvoll; im Unterrang des Gästeblocks wird indes die Gedenkfahne für Fabian geschwenkt, dessen Tod sich unlängst zum zweiten Mal jährte. Ruht in Frieden!
Beim Verlesen der Schalker Aufstellung wird deutlich, dass sich David Wagner nicht auf die von vielen Fans vermutete Variante „Stambouli neben Mascarell auf die Sechs, Nastasic in die Innenverteidigung“ verlegt hat, sondern auf die etatmäßige Viererkette vor Kapitän Nübel mit Oczipka, Stambouli, Sané und Kenny beibehält. Mascarell steht alleine auf der Sechs, davor sollen es Schöpf und Caligiuri richten. Die Abteilung Attacke bilden Harit, Matondo und Burgstaller.
Tradition kann man nicht kaufen…
Für Verwunderung beim Schalker Anhang sorgt die lila Farbe des Banners „Südkurve Hoffenheim“. Das Hoffenheimer Fan-Lied wird – wie immer – mit Untertiteln performed, was – wie immer – bei den sangesfreudigen und textsicheren Schalkern für Spott sorgt. Vor allem die Tafel „Lästerei und Neiderei gehen uns am A… vorbei, 1899 Hoffenheim“ ruft angesichts der bekannt dünnhäutigen Reaktionen von Dietmar Hopp auf Provokationen für große Erheiterung. Auch das Badnerlied, das offenbar zum absoluten Pflichtprogramm bei Spielen im Südwesten gehört, darf nicht fehlen. Doch eigentlich ist es völlig nebensächlich, was die Hoffenheimer singen: Sobald die Schalker Kurve die Stimme ölt, sind sie lauter!
Die Arena ist mit 29.477 Zuschauern nicht ganz ausverkauft. Die Schalker nutzen die akustische Lufthoheit aus, um den Hoffenheimern bei Verlesung der Aufstellung einen neuen einheitlichen Nachnamen zu verpassen, der mit A anfängt und mich OCH aufhört; besonders laut erschallt es bei Sebastian Rudy, dessen Performance auf Schalke und das verbale Nachtreten beim königsblauen Anhang auf sehr wenig Gegenliebe gestoßen ist. Zum Einlauf der Mannschaften zur Instrumentalversion von Rammsteins „Engel“ – Hoffenheim in blau, Schalke als weißes Ballett – marschieren zahlreiche Großfahnenträger auf.
Schalke übernimmt sofort die Regie
Schalke ist von Beginn an spielbestimmend – auf dem grünen Rasen und auf den Rängen. Schon in der dritten Minute zimmert Daniel Caligiuri einen Freistoß aus knapp 30 Metern Torentfernung ans Lattenkreuz, schade, das wäre ein Start nach Maß gewesen! Die Kurve ist trotzdem blendend drauf und zeigt dem Heimpublikum mit „Hurra hurra, die Schalker die sind da“, „Wir komm‘ vom Berger Feld…“ und „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“, wo supporttechnisch der Hammer hängt. Dazu werden etliche Fahnen mit Anti-BVB-Bezug geschwenkt, von denen das zerschmetterte schwarz-gelbe Logo noch das Netteste ist… Schweine, Bomben, Drohungen: Im Vorfeld des Derbys hat die gute Kinderstube Pause!
Auf dem Feld verdienen sich Amine Harit und Rabbi Matondo Szenenapplaus und gute Chancen. Insbesondere Harit, im September zum „Bundesligaspieler des Monats“ und Schützen des „Tor des Monats“ gekürt, ist oft nur per Foul zu stoppen – so auch in der 12. Minute. Den folgenden Freistoß von Daniel Caligiuri setzt Schöpf gefühlte Millimeter über den Hoffenheimer Kasten. Die fast 5.500 Köpfe starke Gästekurve ist positiv überrascht, wie druckvoll und mutig Schalke agiert und intensiviert die Ermunterungen weiter. „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“, „Kämpfen und Siegen!“ und mangels akustischer Gegenwehr ein kräftiger Schalalala-Schalke-Wechselgesang zwischen linker und rechter Hälfte sollen die weißen Jungs nach vorne treiben.
Alles blendend – bis auf die Chancenverwertung
Und das Schalker Spiel lässt auch kaum Wünsche offen – außer der Chancenverwertung. Burgstaller auf Baumann (17), Matondo zur Ecke (23.), Schöpf mit der zweiten Großchance (24.), Vogt Millimeter vor Burgstaller (26.) und erneut Schöpf haarscharf am rechten Pfosten vorbei (31.), das sieht schon gut und überlegen aus, Hoffenheim hechelt in dieser Phase nur hinterher. Auch von der Heimkurve ist wenig zu hören, während die Schalker „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n“, „Olé Blau-Weiß“ und die Ruhrpottkanaken performen.
Gegen Ende des ersten Durchgangs kommen die Gastgeber etwas besser ins Spiel, vor allem Harit soll offensichtlich mit Härte aus dem Spiel genommen werden, was Geiger eine gelbe Karte einträgt. Mit 0:0 geht es in die Pause, die Gesprächsthemen schwanken zwischen „so souverän hätte ich die nicht erwartet!“, „das verdammte Tor ist nur noch eine Frage der Zeit“ bis zu „wer die Dinger vorne nicht macht, wird irgendwann hinten bestraft“.