Schalke – HSV 2:2: Großer Kampf in Unterzahl führt zu umjubeltem Punktgewinn

Schalke – HSV 2:2: Großer Kampf in Unterzahl führt zu umjubeltem Punktgewinn

20. April 2025 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 ringt Tabellenführer HSV nach fast 90 Minuten in Unterzahl ein 2:2 (1:2) ab. Für Aufregung sorgt weniger die frühe rote Karte für Kapitän Kenan Karaman als eine unverantwortliche Pyro-Aktion der Gästefans, bei der Raketen auch auf dem Spielfeld und in anderen Blöcken landen. Nach dem Abpfiff verhöhnt die Nordkurve die Gegner und feiert ihre Mannschaft für die Moral. Susanne Hein-Reipen berichtet…

Topspiel am Samstagabend bei bestem Wetter, das bedeutet früh viele gutgelaunte Schalker bei der „seelischen Vorbereitung“ auf das Match. Beherrschende Frage an den Treffpunkten: Zeigt die Mannschaft nach dem erschreckend schlappen Auftritt in Regensburg eine Reaktion?

Junge, da fällt Dich nix mehr ein

Unter dem wachsamen Auge einer großen Polizeidrohne geht es zur Arena, wo viele Schalker feststellen müssen, dass sich auch in Dauerkartenblöcken erstaunlich viele Gästefans tummeln, die nicht alle mit angemessenem Benehmen gesegnet sind.

Am Oberrang vor Block 42 hängt ein Banner mit der Aufschrift „Euer Einsatz und Euer Wille – Junge, da fällt Dich nix mehr ein“; eine Anspielung auf die Zeile aus dem Klassiker „Schalke 04, Liebe im Revier“, die wohl jeder Schalker unterschreibt, der den Gruselkick in Regensburg verfolgt hat.

Die ligaübergreifende Heimspielstatistik spricht deutlich für Königsblau, in der zweiten Liga gelang allerdings noch kein Sieg gegen die Rothosen. Die Nordkurve macht deutlich, dass von einem befürchteten Supportboykott keine Rede sein kann und schickt unüberhörbar „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen!“ als Arbeitsauftrag raus. Nach dem obligatorischen Pfeifkonzert bei der Aufstellung der Gäste können die beiden Quatscher Dirk und Jörg zahlreiche prominente Gäste wie das einstige Traumduo Ebbe Sand und Emile Mpenza begrüßen.

Schock in der dritten Spielminute

Vor Heimspielen keinesfalls fehlen dürfen das Steiger- und Vereinslied „Blau und Weiß, wie lieb‘ ich Dich“, beide werden mit vollem Stimm- und Schaleinsatz geschmettert. Der Gästeblock zeigt indes mit einer großen Blockfahne mit drei jubelnden HSV-Kindern eine Choreo mit dem Motto „Schon von Klein auf trag‘ ich Deine Farben“.

Zum Einmarsch der Mannschaften folgt die Schalker Aufstellung. Es beginnen Heekeren („Volle Unterstützung für die 28!“), Murkin, Kaminski, Schallenberg, Bulut, Donkor, Seguin, Grüger, Mohr, Karaman, Aydin und Sylla.

Der Anpfiff ertönt, die Nordkurve legt mit „Für deine Farben los“, im Gästeblock flammen zwei rote Bengalos auf – doch statt einer Abtastphase überschlagen sich bereits in der zweiten Spielminute die Ereignisse: Karaman senst im Mittelfeld Meffert ebenso hart wie unnötig um und der VAR meldet sich. Schiedsrichter Osmers verpasst erst dem sich aufregenden Seguin die gelbe und anschließend Karaman die glatt rote Karte (3.).

Die Schalker in der mit 62.077 Zuschauern ausverkauften Arena sind bereits restlos bedient, ist der Kapitän doch normalerweise einer der besseren Schalker. Die Nordkurve fängt sich am schnellsten wieder und fordert „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“ und findet tatsächlich mehr Gehör auf den anderen sonst eher passiven Tribünen.

Schallenberg zur umjubelten Führung

Und die lautstarke Unterstützung zahlt sich aus, denn die 10 verbliebenen Schalker rollen nach dem Motto „jetzt erst Recht!“ die Ärmel auf und haben durch Sylla nach schöner Vorarbeit von Mohr die erste große Chance. Heuer Fernandes im Tor der Gäste muss sein ganzes Können aufbieten, um den Ball zu entschärfen und staucht danach wutentbrannt seine Vorderleute zusammen.

Der Gästeblock lässt sich mit HSV, HSV – Rufen vernehmen, wird aber schnell durch „Geh‘n mit Dir auf jede Reise“ übertönt. Pherai (gestrecktes Bein gegen Schallenberg) und Hefti (Ballwegschlagen nach Foul von Reis an Aydin) sehen Gelb. Den für Reis‘ Foul fälligen Freistoß schlägt Mohr mit viiiiiel Gefühl auf den Scheitel von Schallenberg, dieser lässt sich nicht lange bitten und köpft den Ball zum 1:0 in die Maschen (15.).

Das Bier fliegt tief, die Stadt erstrahlt in Blau und alle Königsblauen wundern sich, zu welcher kämpferischen Leistung die Mannschaft plötzlich in der Lage ist. An der Seitenlinie gibt Michael Langer derweil den Schattentrainer, schreit, dirigiert und lobt.

Kalte Dusche vor der Pause

Zu den Klängen von „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“ und „Stadion geh’n“ geht auch die zweite Großchance der Partie trotz erdrückendem Ballbesitz der Hanseaten wieder an Schalke, doch Murkins Kopfball aus kurzer Distanz geht haarscharf über das Tor (31.). Im Gegenzug verfehlt Reis das Hamburger Tor mit einem schönen Drehschuss ebenfalls nur knapp.

Der K-Block rollt ein Banner aus „Auch 10 Jahre später keinen Meter für Nazis in GE“, dann geht es mit „Wir komm‘n vom Berger Feld“ weiter. Sylla steht im Abseits (37.), Heekeren entschärft einen wuchtigen Schuss von Königsdörfer (40.) – und dann passiert es doch: Flanke Dompé, Sahiti reagiert am schnellsten und köpft den Ball zum 1:1-Ausgleich ins Netz (41.). Nach kurzer Konsultation des VAR auf ein etwaiges Foul im Vorfeld steht fest: Der Treffer zählt.

Während sich das Schalker Publikum noch über diesen Treffer ärgert, liegt der Ball schon wieder hinter Heekeren, wieder war es Sahiti nach Vorarbeit von Dompé, allerdings ist die Abseitsfahne oben. Und natürlich tritt erneut der VAR auf den Plan und Osmers lauscht minutenlang dem „Mann im Ohr“, während sich beide Fanlager über die lange Unterbrechung echauffieren und „Schei** DFB!“ anstimmen. Doch alle Verwünschungen helfen nicht, auch dieser Treffer zählt und der HSV führt 2:1 (45.).

Das 2:1 ist dann auch nach fünf weitgehend ereignislosen Minuten Nachspielzeit der Pausenstand. Die Kurve verabschiedet die durch den Hamburger Doppelschlag sichtlich konsternierte Mannschaft mit „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen!“ in die Kabinen. Beim Pausenbier stellt sich die bange Frage, ob der S 04 im zweiten Durchgang einbricht; in der Fanbox dominieren stimmgewaltige Kids das Bild.

Unverantwortliche Pyro-Aktion führt zur Spielunterbrechung

Für das Team Fanbelange berichtet Thomas Kirschner heute von der Knappenkidstour zum Spiel bei Fortuna Düsseldorf – es sind noch Restplätze verfügbar! -, das Projekt, schöne Schalker Tattoos abzulichten und das anstehende Auswärtsspiel in Kaiserslautern.

Beide Trainer wechseln; bei Schalke kommt Kalas für Grüger, beim HSV dürfen Glatzel und Karabec für die gelbbelasteten Hefti und Pherai ran. Die Nordkurve startet mit einer Attacke in den zweiten Durchgang, dann folgen „Schalke, ich bin für dich geboren“ und „Schalke nur Du alleine“.

Heekeren kann gegen Reis (47.), Königsdörffer (49.) und Karabec (51.) klären, dann geraten sich Sylla und Hadzikadunic heftig in die Haare und bekommen beide eine gelbe Karte verpasst (57.). Die beiden Kurven nutzen die Gelegenheit, sich gegenseitig ein paar Nettigkeiten der Marke „Hamburg -Schweine“ und „Scheixxe 04“ an den Kopf zu werfen. Bachmann und Gantenbein ersetzen Seguin und Aydin (60.).

Dann zeigt der Gästeblock, wie man Pyrotechnik NICHT handhaben sollte: Neben zahlreichen Stroboskop-Lichtern und Rauchtöpfen werden Raketen abgeschossen, die teilweise bis zum Videowürfel, auf das Spielfeld und in die Nachbarblöcke fliegen. Osmers unterbricht das Spiel, die Spieler verziehen sich Richtung der Trainerbänke, aber die Zuschauer in den angrenzenden Blöcken können nicht einfach ausweichen und stimmen ob so viel Dummheit und Rücksichtslosigkeit ein gellendes Pfeifkonzert an.

Syllas Ausgleich lässt die Arena beben

Als der Beschuss nachlässt, sammeln Helfer die Überreste vom Rasen und es geht weiter, während die „Asozialen Schalker“ in Maximallautstärke durch die Arena dröhnen. Beide Teams verzeichnen einige kleiner Vorstöße, doch der umjubelte Ausgleichstreffer ist Torjäger Moussa Sylla vorbehalten: Zu „Immer wieder S 04“ schlägt Mohr eine Bilderbuchflanke von links nach rechts, Gantenbein legt per Kopf zurück auf Sylla, der – obwohl deutlich kleiner – Hadzikadunic überspringt und perfekt ins lange Eck zum einköpft (81.). Das 2:2 lässt alle Schalker glückselig eskalieren, während es dem Gästeblock die Sprache verschlägt.

Nachdem sich die Gemüter wieder etwas beruhigt haben, bringen beide Trainer noch einmal frsiches personal. Bei Königsblau mischen nun Rückkehrer Hojlund (für Sylla) und Donkor (für Mohr) mit; bei den Gästen werden Königsdörffer und Sahiti durch Selke und Baldé ersetzt, Heekeren boxt eine Ecke weit aus der Gefahrenzone, Stange kommt für Mikelbrencis.

Es gibt sechs Minuten obendrauf, Heekeren wird von einem Krampf geplagt und reibt den Schalkern die Schweißperlen auf die Stirn, denn das Wechselkontingent ist ausgeschöpft. Doch der Schalker Torwart kann ebenso weitermachen wie Schallenberg, der angeschlagen auf dem Rasen liegt. Ein letzter Abschluss von Elfadli, eine Gelbe für Heekeren (90+7.) und DAS SPIEL IST AUS!

Geile Moral – warum so selten?!

Nach fast 90 Minuten in Unterzahl darf ein Punkt gegen den Tabellenführer mit Fug und Recht als Erfolg gewertet werden und so ist der Jubel groß. „Schalke ist der geilste Club der Welt“, „Zweite Liga, Hamburg ist dabei“ und „Nie mehr erste Liga, HSV“ schallen aus der Nordkurve.

Während die HSV-Spieler nach kurzem Abstecher vor ihren Block bedröppelt in die Kabine schleichen, werden die Schalker Profis von der Nordkurve begeistert empfangen, bevor gemeinsam zu „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ gefeiert wird. Anschließend geht es zum „Königsblauen S 04“ auf die Arenarunde.

Durch den Punkt bleibt Schalke mit jetzt 38 Punkten auf Platz 11. Die große Frage, die auch Sportdirektor Youri Mulder („Eigentlich muss man unglaublich böse sein, dass das nicht jede Woche so ist.“) nach dem Schlusspfiff nicht beantworten konnte, bleibt: Wieso ruft die Mannschaft eine solche Leistung, eine solche Einstellung, einen solchen Kampfgeist nicht öfter ab…?