Hannover – Schalke 1:0: Glanz auf den Rängen, Gestolper auf dem Rasen

Hannover – Schalke 1:0: Glanz auf den Rängen, Gestolper auf dem Rasen

20. Oktober 2024 0 Von Susanne Hein-Reipen

Der FC Schalke 04 verliert das Auswärtsspiel bei Hannover 96 nach einem frühen Gegentor mit 1:0 und beschert dem neuen Chefcoach Kees van Wonderen keinen schönen Einstand. Auf den Rängen hingegen sorgen die 17.000 mitgereisten Königsblauen für eine tolle Choreo, bissige Banner und 90 Minuten lautstarken Dauersupport. Susanne Hein-Reipen berichtet…

Begegnungen in der niedersächsischen Landeshauptstadt sind unabhängig von der Liga traditionell ein beliebtes Reiseziel der Schalker Auswärtsmeute und so ist einmal mehr am Samstagmorgen die A 2 fest in königsblauer Hand. An der Heinz-von-Heiden Arena – the Stadion formerly known as HDI-Arena, AWD-Arena und Niedersachsenstadion – angekommen, wundern sich viele Schalker über die ungeheure Polizeipräsenz. Von dutzenden Mannschaftswagen über mehrere Reiterstaffeln bis zum gepanzerten Wasserwerfer ist alles am Start. „Der Sicherheitsgipfel hatte wohl Langeweile“ kommentiert ein H 96-Fan augenrollend, während er im Biergarten Nordkurve friedlich mit einigen Schalkern eine Gerstenkaltschale trinkt.

Akustische Folter

Die Einlasskontrollen gestalten sich gründlich, aber fair, im Stadioninneren ist die komplette Südkurve sowie die angrenzenden Blöcke der Gegengeraden in Knappenhand, auch auf der Haupttribüne schimmert es rechts mehrheitlich blau. Dementsprechend laut fällt die Begrüßung für das Torhütertrio, dieses Mal angeführt von Hoffmann, aus – prompt dreht der Stadionschreier die Lautsprecher bis zur Schmerzgrenze hoch.

Auch danach glänzt er vornehmlich durch ein übersteuertes Mikro und fehlende Kinderstube, begrüßt werden nur die Heimfans. Immerhin schafft er es, die Schalker Aufstellung in circa 4 Sekunden runterzurasseln. Van Wonderen schickt Hoffmann, Murkin, Sanchez, Kalas, Bulut, Schallenberg, Grüger, Mohr, Tempelmann, Sylla und Karaman auf den Rasen.

Die Glückwünsche, Grüße und das Interview mit den Trinkbechersammlern, die mittlerweile stolze 600.000 € für saubere Trinkwasserbrunnen in Afrika gesammelt haben, sind ebenfalls einfach nur laut, ganz zu schweigen von den Statistiken und der Aufstellung der 96er.

Ruhrpott – Hier bestimmen Dein Herz und die Ehre Dein Handeln

Während die Hymne „Alte Liebe“ so vor sich hinplätschert, dreht der Gästeblock auf: Zunächst erscheint ein gigantisches Schlägel und Eisen-Symbol aus weißen Fahnen auf dunkelblauem Grund, dazu kommen zwei große Banner „RUHRPOTT“ und „Hier bestimmen Dein Herz und die Ehre Dein Handeln“ an Ober- und Unterrang. Dann verschwinden die weißen Choreofahnen und eine riesige Blockfahne mit zwei Bergleuten senkt sich auf den Untergrund aus dunkelblauen Folienstäben. Wieder ganz großes Choreo-Kino und Gänsehaut pur!

Das Einlaufen der Mannschaften und den Anpfiff verpassen die Schalker unter der Choreo – just, als die letzte Bahn nach vorne abrollt, fällt nach knapp vier Spielminuten das 1:0 für die Gastgeber: Vorausgegangen war ein Freistoß von Leopold von rechts vor den Fünfer, wo Kunze schneller ist als Murkin und Schallenberg und flach zum 1:0 trifft (4.). Sch…auriger Start.

Schalke läuft dem Rückstand hinterher

Der frühe Gegentreffer tut dem Schalker Spiel nicht gut, die Mannschaft kommt nur selten über die Mittellinie; Hannover hingegen kommt über Neumann, Momuluh, Voglsammer und Leopold verschiedentlich nach vorne. Der vielköpfige Gästeblock versucht lautstark, die Mannschaft mit „Wir komm‘n vom Berger Feld“, „Steht auf, wenn Ihr Schalker seid“, „S! 0! 4!“ und „Auf geht‘s Schalke schieß‘ ein Tor“ nach vorne zu treiben.

Nach gut 20 Minuten wird das Spiel etwas lebhafter, nun trauen sich auch Bulut (20.) und Mohr (24.) in Richtung des Hannoveraner Tors. Murkin und der sehr engagierte Sanchez hindern mit vereinten Kräften Momuluh mehrfach am Durchbruch. Ein Schuss von Leopold wird knapp über Hoffmanns Kasten abgefälscht (32.). Der Gästeblock hat weiter mit „Eine Stadt erstrahlt in Blau“, „Attacke“, „Um die halbe Welt sind wir gefahr’n“ und „Schalke, ich bin für dich geboren“ die akustische Lufthoheit, auf dem Rasen dominieren jedoch die Hausherren.

Es dauert bis zur 40. (!) Minute, bis der erste Schalker Torschuss verzeichnet wird: Ein Freistoß von Grüger landet mit freundlicher Mithilfe von Kunze vor Sanchez‘ Füßen, der ein wenig überrumpelt mit dem linken Fuß am Tor vorbeizielt (40.). Zwei weitere Versuche von Lee und Voglsammer und eine Minute Nachspielzeit später pfeift Schiedsrichter Weisbach zum Pausentee.

Banner erhitzen die Gemüter

Während das Pausenprogramm den „Superschuss“ zelebriert (eine Torwand mit einem kleinen Loch in der Mitte), plaudert der Gästeblock über die Choreo und die vor allem offensiv noch stark ausbaufähige Leistung der Knappen. Geht da noch was im zweiten Durchgang…?

Hannover startet mit einem positionsgenauen Wechsel Muroya für Dehm in die zweite Häfte, der Gästeblock mit einer „Attacke“ und „Schalke nur Du alleine“ – dann geht ein großes blaues Banner der UGE mit der Aufschrift „Hannover: In der eigenen Stadt nicht anzutreffen, auswärts die Ausfahrt vergessen“ hoch, was bei denen, die sich angesprochen fühlen, für hörbar schlechte Laune sorgt. In eine ähnliche Richtung geht „Im Flyer große Fresse, am Boxen kein Interesse“ der Hugos.

Für Hoffnung auf mehr Schalker Dampf sorgt hingegen ein sehenswerter Doppelpass der Knappenschmieden-Youngster Bulut und Grüger rechts vor dem Strafraum, der jedoch leider im Toraus landet (46.). Danach ist wieder H 96 mit Momuluh, Tresoldi und Neumann im Vorwärtsgang. – und das nächste Banner, dieses Mal schwarz und von den Marler Jungs, ätzt gegen die Versuche der Polizei Hannover, über den Gaststättenverband Dehoga ohne gesetzliche Grundlage Daten von Fußballfangruppen von Hoteliers abzufragen: „Dehoga an Pol-H: Schalker schlafen unter Brücken“. Man darf gespannt sein, was der Landesdatenschutzbeauftragte, den die Fanhilfe der Hannoveraner zu dieser Aktion anrufen möchte, dazu sagt.

Schalkern ärgern sich über Schiri

Als erster Schalker Wechsel kommt Younes für Mohr und mit ihm die Hoffnung auf mehr offensive Kreativität (56.). Kreativ wird stattdessen Schiedsrichter Weisbach: In der ersten Halbzeit noch recht penibel gegen beide Teams unterwegs, lässt er jetzt einige taktische Fouls der Heimmannschaft durchgehen, verpasst aber Grüger (Ballwegschlagen) und Bulut (normaler Zweikampf gegen Tresoldi) Gelb.

Die drohende Niederlage ist dennoch nicht auf den Schiedsrichter, sondern auf mangelnde Ideen zurückzuführen. H 96 hat in dieser Phase mehrere Ecken, die Schalke dank Kalas wegverteidigt bekommt, eigene Angriffsaktionen bleiben jedoch Mangelware, egal, wie laut der Gästeblock „Wir lieben alle nur den FC Schalke, unsern Kumpel- und Malochercluuuub“ intoniert.

Dann greifen beide Trainer zu einem Doppelwechsel; Aydin und Seguin ersetzen Tempelmann und Grüger, Rochelt und Ngankam kommen für Lee und Tresoldi (70.). Karaman kassiert wegen eines Zusammenstoßes mit Kunze seine 5. Gelbe Karte und wird gegen Fürth fehlen (77.), dann muss Momuluh angeschlagen runter, Ezeh kommt ins Spiel.

Tor zählt nicht: Es bleibt beim 1:0

Van Wonderen schöpft das Wechselkontingent aus, für Bulut und Kalas gehen Lasme und Bachmann in die Schlussphase (82.). Ein Seguin-Freistoß segelt aus gut 20 Metern Torentfernung deutlich über den Kasten (83.), Nielsen ersetzt Voglsammer, jeder einzelne Wechsel wie jede Ecke penetrant präsentiert von Werbepartnern.

Der Gästeblock supportet derweil unermüdlich weiter, „Geh‘n mit Dir auf jede Reise“, „Steht auf“ und „immer wieder S 04“ sind angesagt, während sich der Sprecher über 49.000 Zuschauer und ausverkauftes Haus freut. Auch Seguin holt sich noch eine gelbe Karte ab, weil er Muroya etwas rustikal angeht (84.).

Dann der Schreck: Langer Abschlag von Zieler, Nielsen legt für Ngankam auf, der schüttelt Schallenberg vorbei ab und trifft zum vermeintlichen 2:0 (84.) – nach minutelangem Siegesgeschrei des Stadionsprechers befindet der VAR allerdings auf vorherige Abseitsstellung von Nielsen. Die Gästefans wittern nochmal Morgenluft und treiben die Mannschaft mit „Auf geht’s Schalke schieß‘ ein Tor“ nach vorne, doch weder Karaman (86.) noch Lasme (88.) haben Schussglück. Auch die fünfminütige Nachspielzeit sieht die Schalker zwar sehr bemüht, aber ohne zündende Ideen und so bleibt es beim 1:0.

Auch van Wonderen kann nicht zaubern

Durch die Niederlage rutscht Schalke mit 8 Punkten auf Rang 14 und kann in den Sonntagsspielen noch von Ulm überholt werden; Hannover bewahrt die blütenweiße Heimweste und belegt mit 16 Punkten Rang 5, was einige Hannoveraner Helden prompt für „Schei**e 04“ und „Absteiger“ nutzen, was wiederum die Schalker höhnisch mit „Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot“ quittieren.

Während der gegenseitigen Komplimente finden sich beide Mannschaften kurz zum Kreis zusammen, dann kommen die Schalker etwas zögernd Richtung Kurve und stellen erleichtert fest, dass es verhaltenen Applaus für die Bemühungen im zweiten Durchgang und das obligatorische „Auf geht’s Schalke kämpfen und siegen“ gibt. Die Hannoveraner Elf begibt sich ebenfalls auf eine Stadionrunde und wartet extra, um die Schalker nicht zu stören, leider wird wieder alles von ebenso lauter wie unpassender Musik übertönt.  

Auf dem Heimweg erntet ein Schalker auf „van Wonderen hat doch gleich gesagt, dass er nicht Harry Potter ist“ ein genervtes „warum wirkt der neue Besen-Effekt immer nur bei anderen Vereinen?!“. Van Wonderen selber erklärt in der Pressekonferenz nach dem Spiel, „Wir sind am Beginn eines Prozesses. Es tut immer weh, wenn man verliert. Aber ich bin auch realistisch und weiß, dass es Zeit benötigt, auch wenn man davon im Fußball nicht viel hat. Wir werden die Partie analysieren und dann weitermachen. Wir müssen uns in den kommenden Wochen stetig verbessern.“